Das erste Sturmtief der Saison beeinflusste zu Beginn der Woche vor allem den Nordwesten und Norden des Landes. An den Küsten und in den Hochlagen der Mittelgebirge wurden schwere Sturmböen (Bft 10) und lokal auch orkanartige Böen (Bft 11) registriert. Auf dem Brocken gab es sogar einen Spitzenwert von 143 km/h und damit volle Orkanstärke! Auch wenn es sich dabei noch nicht um eine schwere Sturmlage handelte, wurde in den letzten Wochen über Mittel- und Nordwesteuropa eine Zunahme an Sturmtiefs beobachtet. Damit beginnt die diesjährige Sturmsaison. Warum treten Sturm- und Orkantiefs in unseren Breiten bevorzugt im Herbst und im Winterhalbjahr auf?
Im Herbst, wenn die Tage kürzer und die Nächte länger werden, kühlt die Luftmasse über den mittleren Breiten und vor allem über den Polen deutlich ab. Dadurch entstehen zwischen den polaren Breiten und den Subtropen große Temperatur- und infolgedessen auch Druckunterschiede. Die Atmosphäre versucht diese Inhomogenitäten durch Wind auszugleichen. Ein daraus entstehendes bekanntes Starkwindband ist der Jetstream. Der Jetstream befindet sich in einer Höhe von etwa 8 bis 10 Kilometer. Im Winter ist dieses Starkwindband nicht nur stärker ausgeprägt, sondern es schlägt auch weniger große Wellen. Dennoch treten im Bereich des Jetstreams große Geschwindigkeitsdifferenzen auf. Es bilden sich horizontal und vertikal begrenzte Maxima aus. Innerhalb dieser Maxima sind im Winterhalbjahr extrem hohe Geschwindigkeiten von bis zu 500 Kilometern pro Stunde möglich. Daraus entstehen Gebiete mit erhöhter Windscherung, welche entscheidend bei der Entwicklung eines ausgewachsenen Sturm- oder Orkantiefs sind.
Zur Beschreibung der Entwicklung dieser Wetterphänomene existieren aktuell zwei verschiedene grundlegende Modelle. Bereits vor über 100 Jahren wurde das Konzept des Norweger Zyklonenmodells entwickelt. Bei diesem Modell besteht zu Beginn an einer Frontalzone mit zwei unterschiedlichen Luftmassen eine kleine Welle, die gekennzeichnet ist durch eine wellenförmige Deformation im Druckfeld. Es bilden sich die charakteristischen Frontensysteme aus. Auf der Vorderseite wird warme Luft meist subtropischen Ursprungs nach Norden und auf der Rückseite kalte Luft polaren Ursprungs nach Süden geführt. Durch eine günstige Lage auf der Vorderseite eines Höhentroges kann sich das Tief weiter intensivieren. Bei stärkeren Sturm- und Orkantiefs kreuzt das Druckgebilde den Jetstream häufig und gelangt vom Jeteingang in den Jetausgang. Dort herrscht in der Höhe starke Divergenz, wodurch der Druck am Boden weiter fällt und sich das Tief damit verstärkt. Da sich die Kaltfront schneller verlagert als die Warmfront holt die Kaltfront die Warmfront vom Tiefdruckzentrum ausgehend ein. Es bildet sich eine Okklusionsfront aus. An diesem Zeitpunkt ist der Höhepunkt der Tiefdruckentwicklung erreicht und das Tief schwächt sich allmählich wieder ab. Ist der Antrieb aus der Höhe gegeben, kann sich dann an einem Okklusionspunkt (Schnittpunkt von Warm, Kalt- und Okklusionsfront) ein neues Tief bilden. Das ursprüngliche Tief schwächt sich allerdings weiter ab und löst sich im weiteren Verlauf auf.
Neben dem Norweger Zyklonenmodell wurde in den späten 1980er Jahren das Shapiro-Keyser Zyklonenmodell entwickelt. Bei diesem Modell existiert keine Okklusionsfront. Im Frühstadium zeigt sich eine ähnliche Entwicklung wie beim klassischen Modell. Im weiteren Verlauf löst sich die Kaltfront von der Warmfront allerdings ab und es entsteht ein Frontenbruch. Gleichzeitig wickelt sich die Warmfront um den Tiefdruckkern, sodass die Zyklone in diesem Modell im Gegensatz zum klassischen Modell einen warmen Kern besitzt. In einigen Fällen kann sich an der Südseite des Tiefs im Bereich des Frontenbruchs ein sehr starkes Windmaximum ausbilden. Dabei handelt es sich um einen Sting Jet, welcher durch das Überlaufen von trockener Luft aus der oberen Troposphäre entstehen kann.
Shapiro-Keyser Zyklonen sind in West- und Mitteleuropa relativ selten. Am häufigsten werden sie über dem westlichen Atlantik beobachtet. Dennoch gibt es einige Fälle aus der Vergangenheit, die auch bei uns Schäden verursacht haben. Eine Shapiro Keyser Zyklone mit einem Sting Jet war beispielsweise Orkantief FRIEDERIKE. Dieses Orkantief zog am 18 Januar 2018 mit seinem Sturmfeld über Teile von Deutschland hinweg. Dabei wurden in einem Streifen über die Mitte Deutschlands stellenweise Orkanböen bis ins Flachland gemessen.
Die letzte Sturmsaison blieb in Mitteleuropa deutlich hinter ihren Erwartungen. Eine ausgewachsene Sturm- oder gar Orkanlage trat nicht auf. Und auch in der nächsten Woche ist erst einmal mit keinem ausgewachsenen Sturm- oder gar Orkantief zu rechnen. Damit bleibt abzuwarten was der Herbst und Winter 2025/2026 noch für Sturmlagen mit sich bringt.