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16. September 2025 | Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)

Düsen und Leitplanken

Düsen und Leitplanken

Datum 16.09.2025

Wind kann durch unterschiedlichste topographische Gegebenheiten beeinflusst werden. Heute erklären wir, wie Düsen und Leitplanken den Wind erheblich verstärken können.

Wind ist draußen im Freien allgegenwärtig, mal als angenehmes kühlendes Lüftchen an einem heißen Sommertag, mal als steife Brise am Strand oder als zerstörerischer Sturm. Gestern und am heutigen Dienstag war bzw. ist vor allem der Norden und die Mitte Deutschlands vom ersten kleinen „Herbststürmchen“ des Jahres betroffen. Ursächlich sind Druckunterschiede, die durch Massetransport mit dem Wind ausgeglichen werden. Steuernde Hoch- und Tiefdruckgebiete, aktuell Hoch OLDENBURGIA und Tief ZACK (Abb. 1), sind für die großräumigen Strömungsverhältnisse verantwortlich. Sie entscheiden also, aus welcher Richtung und mit welcher Stärke der Wind weht. Lokale Gegebenheiten wie Berge, Täler oder Meerengen können den Umgebungswind aber verändern und mitunter erheblich verstärken. Heute erklären wir, wie die Topografie als Düse oder als Leitplanke wirken kann.


Abbildung 1: Wetterkarte mit Druckverteilung über Europa und dem Atlantik am heutigen Dienstag, 16.09.2025, 12 UTC (14 Uhr MESZ).
Abbildung 1: Wetterkarte mit Druckverteilung über Europa und dem Atlantik am heutigen Dienstag, 16.09.2025, 12 UTC (14 Uhr MESZ).


Betrachten wir zunächst den „Düseneffekt“, auch „Kanalisierungseffekt“ genannt. Um die Hintergründe des Düseneffekts verstehen zu können, machen wir einen kleinen Ausflug in die Strömungsphysik. Die Erklärung ist nämlich im sogenannten „Gesetz von Venturi“ oder im „Venturi-Effekt“ zu finden, benannt nach dem italienischen Physiker Giovanni Battista Venturi (1746-1822). Der Venturi-Effekt bestreibt die Strömungseigenschaften eines (inkompressiblen) Fluids, z.B. Wasser, durch eine Rohrleitung. Strömt ein Fluid durchs Rohr und erreicht eine Engstelle, erhöht sich der Staudruck des Fluids und die Fließgeschwindigkeit nimmt zu. Genauer gesagt erhöht sich die Geschwindigkeit im umgekehrten Verhältnis zur Querschnittsfläche der Rohrleitung (Abb. 2, rechts). Was recht abstrakt klingt, ist eigentlich ganz logisch: Wenn in einer gewissen Zeit die gleiche Wassermenge zuerst durch ein dickes und danach durch ein dünneres Rohr fließt, muss in letzterem das Wasser entsprechend schneller durchfließen. Diesen Effekt macht sich jeder beim Gießen oder Reinigen mit dem Gartenschlauch zunutze. Ohne Aufsatz würde das Wasser nur mit einem geringen Druck aus dem Schlauch laufen. Mit Aufsatz schießt das Wasser hingegen umso schneller und weiter aus dem Schlauch, je enger man die Öffnung zudreht. Bei einer Wasserspritzpistole für Kinder passiert das gleiche.


Abbildung 2: Schematische Abbildung zur Kanalisierung im Rheintal (links) und Darstellung der Stromlinien in einem Rohr (rechts). Je enger die blauen Linien beieinanderliegen, desto stärker ist die Strömung im Rohr („Venturi-Effekt“).
Abbildung 2: Schematische Abbildung zur Kanalisierung im Rheintal (links) und Darstellung der Stromlinien in einem Rohr (rechts). Je enger die blauen Linien beieinanderliegen, desto stärker ist die Strömung im Rohr („Venturi-Effekt“).


Und was hat das mit dem Wind im Tal zu tun? Weht der Wind ungefähr in Richtung des Tals und erreicht den Taleingang, wirken die Berge zu beiden Seiten des Tals als seitliche Begrenzung. So kommt es zur Kanalisierung der Strömung, wodurch die Windgeschwindigkeit in der Talmitte gegenüber der Ebene abseits des Tals deutlich zunehmen kann (Abb. 2, links). Ähnliches passiert auch an Meerengen, weshalb diese in der Seeschifffahrt oft gefürchtet sind. Diese Windverstärkung bezeichnet man als „Kanalisierunseffekt“ oder „Düseneffekt“. Durch eine Inversion (Temperaturzunahme mit der Höhe) kann der Wind zusätzlich verstärkt werden. Sie wirkt wie ein Deckel, durch den die Luft nicht nach oben entweichen kann. Im Kleinen tritt der Düseneffekt auch in engen Straßenschluchten auf und kann einem Passanten schon einmal überraschend den Hut vom Kopf wehen.

Prädestiniert für den Düsen- oder Kanalisierungseffekt ist bei Nordostwind das Schweizer Mittelland. Eingeengt zwischen dem Jura auf der rechten und den Alpen auf der linken Seite führt die sogenannte „Bise“ zu einer erheblichen Windverstärkung im Schweizer Mittelland bis hin zur Sturm- oder gar Orkanstärke. Auch der „Mistral“ im französischen Rhônetal ist ein bekanntes Beispiel. Pfeift durchs Rhônetal ein stürmischer Nordwind, weht nicht selten wenige Kilometer abseits des Tals nur noch ein laues Lüftchen. Auch beim „Föhn“ oder anderen Fallwinden wie der „Bora“ in Kroatien oder dem „Böhmischen Wind“ können Engstellen in Tälern eine erhebliche Windverstärkung herbeiführen.


Abbildung 3: Schematische Darstellung der Windverstärkung durch den Leitplankeneffekt.
Abbildung 3: Schematische Darstellung der Windverstärkung durch den Leitplankeneffekt.


Der „Leitplankeneffekt“ (oder „Führungseffekt“) ist eine Art einseitiger Düseneffekt. Trifft der Wind schräg auf ein topographisches Hindernis, z.B. eine Bergkette, erhöht sich nahe dem Hindernis ebenfalls der Staudruck. Folglich wird der Wind parallel zum Hindernis abgelenkt und verstärkt (Abb. 3, links). Dabei ist der Leitplankeneffekt umso stärker, je spitzer der Winkel der Strömung zur Bergkette ist und je höher diese ist, was ein Überströmen der Berge erschwert. Verstärkt werden kann dieser Effekt zusätzlich durch eine Kaltfront, zwischen welche die Strömung eingekeilt wird (Abb. 3, rechts). Der Leitplankeneffekt wird so wieder zu einer Art beidseitigem Düseneffekt mit der Bergkette auf der einen und der Front auf der anderen Seite. Bekannte Regionen in Deutschland sind das Alpenvorland mit den Alpen als Hindernis oder das Erzgebirgsvorland. Bei westlichen oder nordwestlichen Winden werden nicht selten in Chemnitz oder Dresden höhere Geschwindigkeiten gemessen als weiter nördlich.


Abbildung 4: Leitplankeneffekt am Nordrand des Erzgebirges am heutigen Dienstag, 16.09.2025, 10 UTC (12 Uhr MESZ), berechnet vom hochaufgelösten Vorhersagemodell ICON-D2.
Abbildung 4: Leitplankeneffekt am Nordrand des Erzgebirges am heutigen Dienstag, 16.09.2025, 10 UTC (12 Uhr MESZ), berechnet vom hochaufgelösten Vorhersagemodell ICON-D2.


Auch beim heutigen Windfeld treten die beschriebenen Effekte in abgeschwächter Form auf. Während durch den Leitplankeneffekt am Nordrand des Erzgebirges der Wind in Böen 7 bis 8 Beaufort erreicht (ca. 55 bis 70 km/h) erreicht (Abb. 4), weht er weiter nördlich nur mit Stärke 6 (um 45 km/h). Auch in parallel zum Wind ausgerichteten Straßenschluchten kann der Düseneffekt heute gut beobachtet werden.



© Deutscher Wetterdienst

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