4. Sedimentgesteine:
Bereits die geomorphologischen Merkmale von (Sediment-)Gesteinen können wertvolle Informationen für die Rekonstruktion früherer Klimabedingungen liefern. Die Geomorphologie befasst sich mit der Form und Entwicklung der Erdoberfläche, also mit der Entstehung und Veränderung von Landschaften. Charakteristische Landschaftsformen wie Gletscherkratzspuren (Abbildung 1) entstehen beispielsweise, wenn Gletscher andere Gesteine über das darunterliegende Material bewegen und dabei linienförmige Rillen hinterlassen. In Regionen wie Afrika, Südamerika, Indien und Australien lassen sich parallele Schleifspuren nachweisen, die unter heutigen klimatischen Bedingungen ungewöhnlich erscheinen. Diese Spuren gelten jedoch als Belege für die Existenz des ehemaligen Superkontinents Gondwana und seine weitreichende Vergletscherung während der Karbon-Perm-Eiszeit vor etwa 360 bis 260 Millionen Jahren. Weitere geomorphologische Strukturen mit klimatischer Aussagekraft sind Wellenrippel (Abbildung 1), die durch Wasser- oder Windbewegung entstehen, Gletschermoränen, Dünen sowie alte Flussterrassen.


Aber auch die innere Beschaffenheit von Sedimentgesteinen - etwa deren Farbe, Korngrößenverteilung, Sortierung und Zusammensetzung - bietet wichtige Hinweise auf vergangene Umwelt- und Klimabedingungen. So entstehen feinkörnige Ablagerungen oft durch äolische Ablagerung (Wind) in Trockenperioden, während grobsortierte Sedimente mit eingelagerten Klasten (feste Gesteinsbruchstücke) und organischem Material typisch für Überschwemmungen sind.
Im Inneren von Sedimenten - besonders in Schichten am Boden von Seen und Meeren - verbergen sich weitere natürliche Archive. Die Sedimente lagerten sich über Jahrtausende hinweg ab und konservierten dabei eine Vielzahl biologischer Spuren in Form von (Mikro-)Fossilien wie Foraminiferen, Schalen und Muscheln, Korallen, Pollen oder Blätter, die als Klimaproxys dienen können. Korallen beispielsweise, die (ähnlich wie Bäume) jährliche Wachstumsringe ausbilden, lassen anhand der Dicke und Zusammensetzung Rückschlüsse auf Wassertemperaturen, Nährstoffverfügbarkeit und sogar das Auftreten von Stürmen sowie El-Niño-Ereignisse ziehen. Kalkschalen enthalten Sauerstoff, dessen Isotopenverhältnis in diesem Fall von den Wassertemperaturen abhängig ist. Auch Spurenelemente wie Magnesium oder Strontium, die im Kalk enthalten sind, korrelieren mit den Wassertemperaturen. Aus pflanzlicher Sicht verraten uns die Form und Größe fossiler Blätter weitere Details. Große, glattrandige Blätter deuten auf ein warmes und feuchtes Klima hin - typisch für tropische Regenwälder. Im Gegensatz dazu weisen kleine, gezackte Blätter auf ein kühles, trockeneres Klima hin, wie man es in gemäßigten Breiten findet. Verschiedene eingeschlossene Pollen zeigen, welche Vegetation und damit welches Klima damals vorherrschend war. So konnte man zum Beispiel in der Eifel den abrupten Klimaumschwung von der Kaltzeit zur heutigen Warmzeit (vor rund 12.000 Jahren) anhand von Pollenanalysen aus Sedimenten der Meerfelder Maare nachweisen (Litt & Stebich 1999). Während der Jüngeren Dryas dominieren Pollen von kleinen Sträuchern und Gräsern, was auf kalttrockene, tundrenartige Bedingungen hinweist. Mit Beginn des Holozäns nimmt die Häufigkeit von Birke und Kiefer zu, gefolgt von wärmeliebenden Baumarten wie Hasel und Ulme, was den Wechsel zu milderen, waldreichen Verhältnissen zeigt.
Klimaproxys spiegeln aber oft nicht nur eine einzelne Größe wie Temperatur oder Niederschlag wider, sondern eine Kombination verschiedener Umweltfaktoren. Diese Zusammenhänge müssen wissenschaftlich entschlüsselt werden – dafür nutzen Wissenschaftler in der sogenannten Paläoklimatologie ausgeklügelte statistische Modelle. Ihre Aufgabe ist es außerdem, aus den Proxys quantitative Daten, also tatsächliche numerische Werte zu ermitteln. Da Proxys keine Klimavariablen direkt messen, ist eine Umrechnung erforderlich. Dieser Prozess heißt Kalibrierung und erfolgt meist auf zwei Arten: Die erste ist die zeitliche Kalibrierung. Hier wird eine Zeitspanne genutzt, in der sowohl Proxy-Daten als auch direkte Wetteraufzeichnungen vorliegen, also meist die letzten 100 Jahre. Mithilfe statistischer Methoden (z.B. Regressionsanalysen) wird ein mathematischer Zusammenhang hergestellt, der es erlaubt Proxy-Werte in Klimagrößen umzuwandeln. Nach mehrmaligen Validierungstests um Unsicherheiten zu verringern, kann diese Beziehung auf frühere Zeiten ohne Messdaten übertragen werden. Die Zweite wird als räumliche Kalibrierung bezeichnet. Dabei wird geprüft, ob das geografische Muster der Proxy-Daten mit bekannten räumlichen Klimamustern (z.B. Temperaturverteilungen) übereinstimmt. Sie stellt sicher, dass die Verteilung der Proxys sinnvoll ist und für großräumige Rekonstruktionen genutzt werden kann. Das bedeutet: Beide Kalibrierungsarten sind komplementär. Für zuverlässige Klimarekonstruktionen braucht es also gut kalibrierte Proxys, die sowohl zeitlich als auch räumlich stimmige Ergebnisse liefern. In manchen Fällen wird auch eine Proxy-zu-Proxy-Kalibrierung verwendet. Etwa, wenn keine direkten Messdaten, aber andere gut verstandene Proxys zur Verfügung stehen.
Wie so oft in der Wissenschaft gibt es auch hier einige Unsicherheiten. Denn Proxys reagieren nicht nur auf das Klima, sondern auch auf andere Umweltfaktoren – etwa menschlichen Einfluss, Vulkanausbrüche, tektonische Prozesse oder biologische Aktivitäten wie Bioturbation. Solche Einflüsse können die ursprünglichen Klimasignale verändern oder überlagern. Auch die Klimasensitivität eines Proxys, also wie stark er auf klimatische Veränderungen reagiert, kann sich im Lauf der Jahrhunderte verändern. So zeigen manche Baumringdaten nach 1950 keine klare Reaktion mehr auf ansteigende Temperaturen. Zudem beruhen Kalibrierungen meist auf relativ kurzen Zeiträumen und können daher durch äußere Einflüsse verfälscht sein. All das macht die Interpretation von Proxy-Daten anspruchsvoll - aber nicht unmöglich, weshalb Klimaproxys dennoch das zentrale Werkzeug der Paläoklimatologie bleiben. Sie liefern oft die längsten und verlässlichsten Klimaaufzeichnungen, da die Unsicherheiten minimiert werden können. Dafür kombinieren Forschende verschiedene Proxys im sogenannten Multi-Proxy-Ansatz. So lassen sich lokale Störeinflüsse ausgleichen und robustere Klimasignale gewinnen. Weltweite Proxy-Datenbanken sorgen für eine gute räumliche und zeitliche Abdeckung, während Klimamodelle helfen, die physikalischen Zusammenhänge besser zu verstehen und die Daten korrekt zu deuten. Verbesserte Datierungsmethoden und experimentelle Studien machen die Ergebnisse zusätzlich belastbar und schaffen so eine solide Grundlage für die Rekonstruktion der Klimageschichte, wie in Abbildung 2 gezeigt.