Wie so oft zu dieser Jahreszeit richten einige Meteorologen ihre Blicke nach oben. „Nichts Ungewöhnliches!“ möchten Sie sagen? Das stimmt! Gemeint ist aber „ganz weit nach oben“. Im Mittelpunkt stehen die Stratosphäre und besonders der sich alljährlich zur Winterzeit etablierende Polarwirbel. Leider wird dessen Intensität (und besonders seine Schwächephase) jedes Jahr immer wieder in diversen Presseartikeln mit unweigerlich drohenden Schneestürmen und klirrender Kälte in Verbindung gebracht. Doch ist das alles auch wirklich so einfach?
Zunächst stellen wir einige treibende Kräfte vor, betrachten deren Istzustand sowie ihre weitere Entwicklung im subsaisonalen Vorhersagebereich - also drei bis sechs Wochen in der Zukunft. Dies ist nur ein flüchtiger Blick in die Thematik der subsaisonalen Vorhersage und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dennoch dürfte dieser oberflächliche Blick die Komplexität des Themas bereits hervorheben.
Polarwirbel in der Stratosphäre [englisch: stratospheric polar vortex (SPV)]:
Erklärung: Thema des Tages 29.12.2023 und Thema des Tages 20.07.2022
In Bild_1 zeigt die dicke blaue Linie das Mittel des Ensembles vom ECMWF (IFS-ENS) sowie in rot das Mittel der Hintergrundklimatologie des Modells. Dem SPV steht zum Ende dieses Novembers also eine erhebliche Abschwächung bevor, die durch planetare Wellen angetrieben wird. Diese brechen sich in der Stratosphäre (wie Wellen am Strand) und schwächen den aus westlicher Richtung wehenden Polarwirbel mit der Zeit ab. Die Abschwächung erfolgt umso effektiver, je länger diese Störungen andauern. Dies geht teilweise bis hin zur Windumkehr eines „major warmings“, wobei die Wahrscheinlichkeit einer Windumkehr bei diesem Ereignis mittlerweile etwas zurückgegangen ist. Eine schöne Skizze diesbezüglich wurde von den Kollegen der NOAA erstellt.
Die Vorhersage des ECMWF deutet in der Folge eine sukzessive Regeneration des SPV an, allerdings bis auf Weiteres unter dem Klimamittel verlaufend, was auf einen vorerst noch schwächelnden Polarwirbel hindeutet. Das amerikanische Wettermodell der NOAA hebt aus heutiger Sicht gar eine noch länger anhaltende und kräftigere Schwächephase des SPV bis weit in den Dezember hervor. Wie sich im Verlauf der kommenden Wochen die störenden Einflüsse aus der Troposphäre auf den SPV auswirken ist noch sehr unsicher und wird innerhalb der Numerik nur schwer erfasst. Daher sind weitere Überraschungen bezüglich der Intensität des SPV innerhalb der kommenden Wochen nicht ausgeschlossen.
Polarwirbel in der Troposphäre [englisch: tropospheric polar vortex (TPV)]:
Erklärung der zweideutigen Bedeutung dieses Begriffs: Thema des Tages 20.02.2023
Der TPV besteht im Gegensatz zum SPV nicht aus einem zusammenhängenden Starkwindband, sondern setzt sich eher aus unterschiedlich großen planetaren Wellen mit variabler Anzahl zusammen (mit Blick auf die Nordhemisphäre). Diese Wellen verlagern sich (oder auch nicht) entlang des Jet streams (bzw. „wave guide“) und heben ein deutlich variableres Verhalten im Vergleich zum SPV hervor.
Wichtig ist, dass bei einer Veränderung des SPV die Erwärmung aus der oberen Stratosphäre auch in Richtung Troposphäre gebracht wird, was jedoch bei Weitem nicht immer gewährleistet ist. Einem schwachen SPV kann ein kräftiger TPV und umgekehrt gegenüberstehen. Dieser Informationstransfer steht weiter im Fokus der Forschung. Aktuell deuten die Vorhersagen an, dass die Erwärmung inklusiver einer Windabschwächung recht zügig in Richtung untere Stratosphäre vorankommen könnte, was besonders bei einem „major warming“ der Fall wäre. Diese Entwicklung birgt aktuell das größte Potenzial für kalte Überraschungen im Bereich der subsaisonalen Vorhersage.
Quasi-Biennial Oszillation (QBO):
Erklärung: Thema des Tages 04.09.2021
Statistisch gesehen wirkt sich die periodisch wechselnde und sich nun in der östlichen Phase befindende QBO abschwächend auf den SPV aus, was wiederum die Wahrscheinlichkeit für gestörte Phasen des SPV im Verlauf dieses Winters grundsätzlich erhöht.
Beim Blick auf die Anomalien der Wasseroberflächentemperaturen rund um Europa fallen beinahe durchweg positiven Anomaliewerte von 0.5 bis 2, lokal bis über 3 Kelvin ins Auge. Arktische Luftmassen, die nun südwärts über diese Wasserflächen geführt werden, können wenigstens in den unteren Bereichen stark modifiziert (sprich: erwärmt) werden. Bei einer aktuell unter dem Interdezilbereich (also zwischen dem 10. und 90. Perzentil der Datenmenge) verlaufenden Meereisverteilung ist auch ausreichend Meeresoberfläche für eine nachhaltige thermische Änderung der einst so eisigen Luftmasse vorhanden. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die positiven Anomalien der Wassertemperaturen z.B. auf die regionale Druckverteilung, Aktivität der Konvektion, Lage und Intensität der Jets etc. auswirken können. Dies sät weitere Unsicherheiten in ansonsten bekannten Mustern der Ausbreitung von planetaren Wellen.
El-Nino Southern Oszillation (ENSO) und Madden-Julian-Oszillation (MJO):
Erklärung ENSO: Beschreibung der ENSO(DWD)(siehe "Weitere Informationen zum Thema")
Erklärung MJO: Thema des Tages 06.09.2015
Ein wichtiger Baustein ist auch die niederfrequente ENSO (Bild_5) im Pazifik, die aktuell im La Nina Zustand verweilt, wenngleich nur im Bereich einer schwachen La Nina mit bereits vom La Nina Zustand abweichenden Bedingungen in der oberen Troposphäre. Eine allmähliche Abschwächung der kalten ENSO ist ab dem Jahreswechsel zu erwarten. Auf den SPV wirkt sich eine kalten ENSO eher verstärkend aus.
Darin eingebettet wird die Verlagerung der Madden-Julian-Oszillation (MJO) verfolgt, die entweder konstruktiv oder destruktiv mit der ENSO interagiert. Ausgehend von diesen tropischen Konvektionsbereichen werden je nach Intensität und Phase auf troposphärischen Pfaden Rossbywellen in die Außertropen geführt, die nicht selten im Atlantik per Fernwirkung (fachlich: „downstream development“) auch die Nordatlantische Oszillation (NAO) beeinflussen. Aktuell geht die MJO durch Phase 6 in Phase 7, allerdings mit geringer Intensität. Die Fernwirkung für den europäischen Sektor wäre bei Passage dieser MJO-Phasen eigentlich eine blockierungsfreudige. Allerdings darf der Einfluss dieser MJO dank rascher Abschwächung angezweifelt werden. Interessant könnte es werden, sollte sich im Dezember eine neue Welle in diesem Phasenbereich (6 bis 8) entwickeln, was von einzelnen Modellen angedeutet wird.
Globale Impulsbilanz:
Hier geht es stark vereinfacht um den Impulstransfer zwischen Atmosphäre und der Landmasse. Konvektion nahe der Tropen verteilt höheren Impuls polwärts (variable Drehbewegung der Erde am Äquator und Pol), der wiederum entlang bestimmter Gebirgszüge zurückgeführt wird (eng. „mountain bzw. friction torques“). Ein Beispiel ist der Himalaya. Dieser Energietransfer kann Einfluss auf die Intensität des Höhenjets haben bzw. die Wahrscheinlichkeit für blockierende Hochdruckgebiete beeinflussen. Seit Mitte Oktober fand nach Monaten der negativen globalen Impulsbilanz (klassisch bei sich entwickelnden La Nina Ereignissen) ein rasanter Anstieg in neutrale Gefilde statt, was sich aktuell günstig auf weit nördlich ansetzenden Blockierungslagen ausgewirkt hat.
Fügen wir all das Gesagte zusammen und versuchen daraus ein Bild für die nun anstehende Entwicklung im subsaisonalen Vorhersagebereich (Dezember/Januar) abzuleiten.
Der sich abschwächende Polarwirbel in der Stratosphäre ist für Winterfans schon mal ein guter Anfang. Günstig wäre ein „major warming“, was uns für Mitte/Ende Dezember eine gute Ausgangslage für Kaltlufteinbrüche bescheren könnte (sollte die Kopplung Stratosphäre-Troposphäre gelingen). Es sieht aber auch im Ensemble vom EZMWF (dem IFS-ENS) eher nach einem „minor warming“ aus, somit ohne Windumkehr und daher weiter anfällig für Störungen aus den außertropischen Bereichen. In dem Fall wäre die treibende Kraft für eventuelle Blockierungslagen eher aus der Troposphäre heraus zu erwarten, was aber mit einer komplexen und nur schwer zu erfassenden Dynamik innerhalb der Troposphäre einhergeht. Zusätzlich erfolgt auch ein komplexes Zusammenspiel mit der tropischen Konvektion und/oder mit der Wasseroberflächentemperatur der Weltmeere.
In der nun anstehenden Arbeitswoche steht ja in Deutschland eine nachhaltige Abkühlung bevor. Deren Antrieb scheint einerseits aus der Troposphäre zu kommen, andererseits spielt sicherlich auch die jüngste Entwicklung innerhalb der Stratosphäre eine Rolle, wo eine Erwärmung im kanadischen Sektor beobachtet wurde, auch als „canadian warming“ bekannt. Die dadurch induzierte und weit zum Pol reichende blockierende Antizyklone über Grönland sorgt nächste Woche für eine cross-polare Nordströmung mit Schneeoptionen im Bergland und nass-kalter Tieflandwitterung. Vielleicht kann man auch im Tiefland hier und da in den Genuss von etwas Nassschneefall kommen, wo sich aber Tageszeit und Niederschlagsintensität günstig überlappen müssen. Beeindruckend ist das nordhemisphärische Strömungsmuster allemal, allerdings auch die abschwächende Wirkung der modifizierend wirkenden Oberflächentemperatur der Nordmeere.
Die jüngste subsaisonale Vorhersage des EZMWF für Dezember 2025 scheint die blockierungsfreudigen Signale sowohl aus der Troposphäre, aber auch aus der Stratosphäre zu erkennen. Es wird im Verlauf des Dezembers (Mitte/Ende Dezember) ein ansteigendes Potenzial für eine blockierende Antizyklone entweder im grönländischen oder skandinavischen Sektor hervorgehoben. Einhergehend mit dieser Blockierung im IFS-ENS gehen auch die subsaisonalen Temperaturvorhersagen für Mitteleuropa ab Mitte Dezember etwas zurück.
Fassen wir also zusammen: Einige der genannten Bausteine sehen im Vergleich zu den letzten Jahren günstiger aus für winterliche Intermezzi ab Mitte Dezember bis in den Januar hinein. Auch wenn aus aktueller Sicht besonders Kanada und weite Bereiche der USA von dieser Störung des Stratosphärenwirbels durch Kaltluft und Schnee zu „profitieren“ scheinen, so bleibt für uns wenigsten das Potenzial. Jetzt gilt es erst einmal die zeitnah erfolgende Störung beim SPV zu verfolgen.
Zum Schluss machen wir es uns aber einfach und schauen, wie sich vergangene Winter mit einer östlichen QBO, einer kühlen/neutralen ENSO oder aber einer La Nina und weiteren, mit der aktuellen Ausgangslage übereinstimmenden Merkmalen entwickelt haben. Es fließen zusätzlich die Ausarbeitungen von Gray et. al. (2004) mit ein [Gray et. al. (siehe "Weitere Informationen zum Thema)].
Der Einstieg in den Winter 2025/26 steht recht gut im Einklang mit ähnlichen Wintern, die zum Beginn (Dezember/Januar) häufig negative AO/NAO Werte aufwiesen. Dies war in diesem Herbst (über September und Oktober gemittelt) bereits der Fall. In der jüngsten subsaisonalen Vorhersage des ECMWF wird Ende Dezember im Bereich der Aleuten und über Grönland eine positive Abweichung beim Bodendruck angezeigt. Dies deckt sich auch mit einem statistisch recht frühen Auftreten einer Erwärmung/Störung des Stratosphärenwirbels in diesen Jahren.
Im Verlauf der jeweiligen Winter (ab dem Februar) erkennt man jedoch eine sich immer weiter ausweitende negative Bodendruckanomalie im Bereich des Nordpols, was sich auch mit einem stetig verstärkenden SPV deckt. Dieses Muster zeichnet sich auch in den jüngsten europäischen Saisonalvorhersagen ansatzweise ab, wenngleich hier natürlich noch hohe Unsicherheiten vorhanden sind. Hierfür wurde das C3S Multisystemvorhersage von Copernicus betrachtet.
Die Stärkung des SPV würde durch ein La Nina Ereignis gestützt werden, das einen kräftigeren und stabilen Polarwirbel (statistisch) fördert, der allerdings durch die östliche QBO immer wieder angegriffen werden kann. Daher sehen auch die Saisonalvorhersagen für Kanada und Teile der nördlichen USA negative Temperaturabweichungen vorher, was deckungsgleich ist mit einem schwächelnden Aleutentief (La Nina) und möglicherweise wiederholt auftretenden Wellenreflexionen entlang des SPV. Letztere würden den Bodendruck im Bereich der Aleuten ebenfalls tendenziell erhöhen. Kanada, am Ostrand dieser positiven Druckanomalie gelegen, wäre daher gut positioniert für wiederholt auftretende, intensive Kaltluftausbrüche.
Die genannten Tendenzen fußen auf vergangene Ereignisse, auf den Istzustand und auf die jüngsten (sub)saisonalen Vorhersagen. Diese Abschätzungen sind aber unzähligen Überraschungen unterworfen, ausgelöst durch Wechselwirkungen der einzelnen Bausteine (z.B. La Nina und QBO), Überraschungen aus Richtung der Stratosphäre und einer dynamischen Troposphäre im Wechselspiel mit den warmen Meeresoberflächen. Diese Komplexität lässt einerseits nur Tendenzabschätzungen zu, zeigt aber auch, dass lineare Aussagen (schwacher SPV = eisige Kälte) ebenso kaum zielführend sind. Abgerechnet wird dann Ende Februar, wenn der meteorologische Winter 2025/26 Geschichte ist.












