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18. März 2021 | Dipl.-Met. Julia Fruntke

"Seegfrörne" - Als der Bodensee zufror

"Seegfrörne" - Als der Bodensee zufror

Datum 18.03.2021

58 Jahre ist es her, dass Menschen den Bodensee auf einer dicken Eisdecke überqueren konnten. Wie kam es, dass der Bodensee zufror? Im heutigen Thema des Tages beleuchten wir die damalige Wetterlage.

Der bodenseealemannische Ausdruck "Seegfrörne" beschreibt das Phänomen, wenn der gesamte Bodensee (Untersee, Seerhein und Obersee) zufriert, sodass die Eisdecke Menschen tragen kann. Der Obersee, der größte Teil des Bodensees, hat eine Fläche von 473 km² (etwa halb so groß wie Berlin), ist bis zu 251 Meter tief, es gibt eine Fahrrinne für Fähren und der See wird vom Rhein durchflossen. Da ist es nicht verwunderlich, dass es relativ selten zu einer Seegfrörnen kommt. Dafür müssen etliche meteorologische Faktoren zusammenpassen. Im Winter 1962/1963 passte vieles und der gesamte Bodensee war von einer dicken Eisschicht bedeckt. Zuvor war dies 1880 der Fall.


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Damit der komplette Bodensee zufriert, sollte der vorhergehende Sommer eher kühl sein und der Winter recht früh beginnen. Wie in der beigefügten Grafik beispielhaft für die Stadt Konstanz am Bodensee zu sehen, gab es von April 1962 bis zum Winter nur drei Monate, in denen die Tagesmitteltemperatur eine positive Abweichung zum langjährigen Mittel* aufwies. Zudem war es von November 1962 bis März 1963 deutlich kälter als üblich. Speziell in den Wintermonaten Dezember bis Februar wurden teils bis zu -5,4 Grad Abweichung registriert.

Dies ist natürlich der Großwetterlage zuzuschreiben, welche im Folgenden kurz beschrieben wird: Schon Anfang Dezember 1962 lag Deutschland unter kräftigem Hochdruckeinfluss mit einfließender Kaltluft aus Osteuropa. Am Bodensee gab es mehrere Tage am Stück Dauerfrost, bis sich ab dem 9. Dezember für etwa zwei Wochen in einer vornehmlich südwestlichen Strömung milde Luft durchsetzte. In der letzten Dezemberdekade verstärkte sich dann ein Hoch über Skandinavien, verschob seinen Schwerpunkt zum nördlichen Mitteleuropa und sorgte mit einer östlichen Strömung über Weihnachten bis kurz vor den Jahreswechsel für teils strengen Dauerfrost in Teilen der Mitte und dem Süden Deutschlands. Auch am Bodensee lagen die Höchstwerte(!) an den Weihnachtsfeiertagen 1962 um -10 Grad. Im Anschluss brachte schwacher Tiefdruckeinfluss Schneefälle, sodass zum Jahresende im ganzen Land eine Neuschneedecke zu verzeichnen war.

Zu Beginn des neuen Jahres 1963 wurde unter Tiefdruckeinfluss milde Luft aus dem Mittelmeerraum in den Süden Deutschlands geführt. Vorübergehend stiegen die Temperaturen am Bodensee auf +6 Grad. In der zweiten Januardekade drang dann jedoch arktische Kaltluft bis nach Südeuropa vor. Vom 10. bis 22. Januar herrschte fast überall in Deutschland Dauerfrost, teils mit Höchstwerten im zweistelligen Minusbereich! Am Bodensee kletterte das Quecksilber sogar erst Anfang Februar wieder nachhaltig über die Nullgradmarke. Vier Wochen lang lag die Höchsttemperatur in Konstanz am Bodensee unter 0 Grad mit einem Mittelwert von -5,2 Grad. In fast allen Nächten in diesem Zeitraum gab es strengen Frost. Das waren ideale Bedingungen für das Gefrieren eines Sees, wenn er auch noch so groß und tief ist, wie der Bodensee.

Im Januar 1963 wurden deutschlandweit etliche Allzeitrekorde für das tiefste Minimum aufgestellt. Als Beispiel sei die bayerische Station Aldersbach-Kriestorf (340 m ü. NN) genannt. Dort wurden in der Nacht zum 17.01.1963 eisigkalte -33,5 Grad gemessen, die bis heute das dortige tiefste Minimum darstellen. Der Wert in Aldersbach-Kriestorf steht damit an vierter Position der jemals in Deutschland gemessenen tiefsten Minima. Geringere Tiefstwerte gab es nur noch an drei anderen Stationen, dies jedoch im Winter 1956, darunter Deutschneudorf-Brüderwiese und Marienberg in Sachsen mit -35,5 Grad am 1. Februar 1956.

Nach der langen Dauerfrostphase setzte sich Mitte Februar 1963 wiederum mildere Luft in Deutschland durch, die zu Temperaturen um den Gefrierpunkt führte. Allerdings herrschte in den Nächten weiterhin Frost, Ende Februar bis Anfang März sogar im zweistelligen Minusbereich. So war es vom 7. Februar bis etwa 10. März möglich, den Bodensee auf mehreren Routen per Fuß, Schlittschuh, zu Pferd, via Fahrrad oder Auto zu überqueren. Anfang März konnten sogar Segelflieger und Sportflugzeuge auf dem zugefrorenen Bodensee landen. Am 12. Februar 1963 fand die berühmte Eisprozession statt, die seit 1573 bei jeder Seegfrörnen stattfindet, solange das Eis große Menschenmengen tragen kann. Dabei wird die Büste des Heiligen Johannes von Hagnau am Nordufer auf deutscher Seite über den gefrorenen See ins schweizerische Münsterlingen getragen. Erst bei der nächsten Seegfrörnen wird die Büste dann zurückgebracht.

Die Seegfrörne 1963 endeten Anfang/Mitte März aufgrund warmer Föhnstürme. Das Eis wurde zusammengeschoben und türmte sich zu meterhohen Bergen auf. Es dauerte jedoch noch Wochen, bis der Bodensee wieder komplett eisfrei war.

Dem Zufrieren des Sees sind noch weitere Faktoren zuträglich, wie ein niedriger Wasserstand, fehlender Sonnenschein und geringe Windgeschwindigkeiten. Hinsichtlich Wasserstand und Windgeschwindigkeit können an dieser Stelle keine Aussagen getroffen werden. Fehlenden Sonnenschein gab es in den Wintermonaten 1962/1963 am Bodensee allerdings nicht. Die Sonnenscheindauer wurde von Dezember bis Februar im Vergleich zum langjährigen Mittel sogar jeweils deutlich übertroffen. Die Seegfrörne im Winter 1962/1963 sind demzufolge am ehesten dem Zustrom von Kaltluft und in der Folge den niedrigen Temperaturen zuzuschreiben.

*Referenzperiode 1961-1990



© Deutscher Wetterdienst

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