06. Februar 2015 | Dipl.-Met. Helge Tuschy
Die Flüsse der Atmosphäre
Flüsse sind uns allgemein als Gewässer bekannt, die sich mal ruhig und still, mal mit tosender Gewalt durch Städte und Landschaften schlängeln. Mal bieten sie dem vom Lärm gestressten Stadtbewohner Ruhe und Erholung, mal nehmen sie mit zerstörerischer Gewalt Eigentum und fordern im schlimmsten Fall auch Menschenleben.
Der blanken Definition nach handelt es sich bei einem Fluss um ein linienhaft fließendes Gewässer auf der Landoberfläche und um es noch genauer zu definieren: Es handelt sich um ein Fließgewässer mit einer bestimmten Strömungsgeschwindigkeit. Und der Begriff "Strömung" ist ein essenzieller Punkt, wenn wir uns von den uns bekannten Flüssen auf der Landoberfläche abwenden und uns den Flüssen der Atmosphäre zuwenden.
Dabei ist der Begriff eigentlich recht schnell erklärt. In der
Atmosphäre findet jeden Tag wiederholt ein Feuchtestrom von den
(sub-) tropischen warmen Bereichen nach Norden in die kühleren
mittleren Breiten statt. Dies wird durch rege Tiefdruckaktivität
gefördert, die für das Vermischen der unterschiedlich temperierten
Luftmassen mit variablem Feuchtegehalt verantwortlich ist. Wie im
Thema des Tages vom 16.01.15 erklärt wurde, kann man sich ein Tiefdruckgebiet als ein
Zusammenspiel mehrerer "Luftmassen-Förderbänder", (engl. "conveyor
belts") vorstellen. Im "warmen Förderband", vorderseitig der
Kaltfront, wird im Normalfall die warme und feuchte Luft nach Norden
transportiert. Da die Tiefdruckgebiete nicht immer die notwendige
Nord-Süd Ausdehnung erreichen, um Luftmassen aus dem tropischen Süden
"anzuzapfen", ist das Feuchteangebot nicht besonders groß. Manchmal
und besonders bei marinen Tiefdruckgebieten sind bei fehlender
Landreibung und beständiger Feuchtezufuhr langlebige und teils sehr
intensive Tiefdruckentwicklungen möglich.
In diesem Fall wird der Feuchtestrom in Wasserdampfbildern der
Wettersatelliten und in diversen Wettermodellen als ein markantes
Feuchteband sichtbar. Ab wann man nun von einem "Atmosphärenfluss"
spricht, wurde von Wissenschaftlern festgelegt. Es braucht eine
Feuchtezunge von rund 2000 km Länge und 300-600 km Breite (Quelle:
Newell et al. 1992). Doch es geht auch bildhafter, denn die
Nordamerikaner haben z.B. den "Ananas-Express" eingeführt, um einer
Luftmasse Rechnung zu tragen, die von Hawaii aus über den
Nordostpazifik an die Westküste der USA geführt wird.
Auch wir in Europa erleben immer wieder solche "Atmosphärenflüsse",
die vor allem den Westen Europas wie die Iberische Halbinsel,
Frankreich, Irland, England, Schottland und Norwegen heimsuchen
können. Bisher gab es dafür in unseren Breiten aber noch keine
entsprechende Namensnennung. Eine Übersicht über die aktuelle Lage
ist dem Thema des Tages als Bild beigefügt; Quelle:
http://tropic.ssec.wisc.edu/real-time/mimic-tpw/global/main.html )
Was macht nun diese "Atmosphärenflüsse" so interessant und manchmal
auch gefährlich? Sie stellen einen konzentrierten Feuchtetransport
innerhalb der untersten 3-4 km über Grund dar, wo extrem viel
Feuchtigkeit nach Norden transportiert wird. Begleitet wird dieser
Feuchtetransport von sehr starken Winden, die entlang einer Kaltfront
häufig anzutreffen sind. Gelangt nun solch ein "Fluss" an Land und
stellt sich ihm dort auch noch ein Gebirge in den Weg (z.B.
Zentralmassiv in Frankreich und das Skandinavische Gebirge in
Norwegen und Schweden), dann muss im Stau mit sehr ergiebigen
Regenfällen gerechnet werden, die auch mehrere Tage andauern können.
Zudem sorgt die dann herangeführte, meist auch noch sehr warme Luft
aus den Subtropen dafür, dass die Schneefallgrenze außergewöhnlich
hoch steigt und somit der niedergehende Niederschlag nicht als Schnee
in den Bergen gebunden werden kann. Das alles sind Bedingungen, die
für einen erhöhten Abfluss und damit für Hochwasser- und
Überschwemmungsgefahr förderlich sind. Wie ausgeprägt diese Gefahr
ist, hängt natürlich auch davon ab, wie schnell sich so ein
"Atmosphärenfluss" verlagert.
Diverse Untersuchungen haben gezeigt, dass die größten
Flutkatastrophen, z.B. in Kalifornien, USA, in England oder Norwegen,
eng mit solchen "Atmosphärenflüssen" verknüpft waren. Die Vorhersage
dieser Phänomene stellt daher ein großes Interesse der Wissenschaft
dar, sind doch die Auswirkungen bisweilen extrem. Doch diese "Flüsse"
sind nicht selten auch wichtige Regenspender für aride Küstengebiete
und bei längerem Ausbleiben sind Trockenheit und Dürre die Folge
(u.a. sichtbar an der momentan noch andauernden Dürre in
Kalifornien).
Am 16. Januar 2015 wurde eine 2 Monate andauernde Messkampagne im
Nordostpazifik begonnen, die unter dem Namen "CalWater 2015" u.a.
intensiv solche "Atmosphärenflüsse" untersuchen soll (nähere
Informationen zu finden unter: http://www.esrl.noaa.gov/psd/calwater/).
Dabei werden in der Luft (mit Hilfe von Messflugzeugen), auf Schiffen
und über Land diverse Messungen vorgenommen, um die Vorhersagen
dieser Phänomene auch weiter zu verbessern.
Und es zeigt sich, dass die Kampagne nun tatsächlich vom
"Wetterglück" verfolgt ist, denn momentan ist ein markanter
"Ananas-Express" in vollem Gange, der Teilen der Westküste (Südwesten
Oregons und dem Norden Kaliforniens) heftige Regenfälle beschert.
Dabei werden besonders in den Bergregionen von den Wettermodellen
Niederschlagsmengen von 250-300 l/qm innerhalb mehrerer Tage gezeigt,
was schon beachtenswert ist. Aber vor allem in weiten Teilen
Kaliforniens wird dieses Ereignis wieder einen schmalen Grat betreten
zwischen Überschwemmungsgefahr und sehnlichst erwartetem Regen in den
dürregeplagten Regionen.
Große "Atmosphärenflüsse" können jedoch noch weitaus intensivere
Niederschläge hervorrufen, wie z.B. vom 18.-21. Januar 2012, wo in
denselben Gebieten binnen 3 Tagen teils mehr als 600 l/qm
Niederschlag fielen. Im Nordwesten Englands kam es am 19. November
2009 zu erheblichen Überschwemmungen, nachdem regional über 150 l/qm
binnen 3 Tagen gefallen waren.
Wie viel "Wasser" bis zum nächsten "Atmosphärenfluss" in Westeuropa
noch den sprichwörtlichen "Fluss hinunterfließen" wird, kann aus
heutiger Sicht nicht gesagt werden, aber ein Blick auf die aktuellen
Wetterkarten zeigt, dass so etwas bei uns in nächster Zeit nicht zu
erwarten ist. Aus diesem Blickwinkel lässt sich die derzeitige
trocken-kalte Luft aus Norden doch sicherlich noch besser ertragen.
© Deutscher Wetterdienst
Bild: DWD
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