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06. November 2021 | Dipl.-Met. Dr. Jens Bonewitz

Stratosphärischer Polarwirbel erneut im Fokus

Stratosphärischer Polarwirbel erneut im Fokus

Datum 06.11.2021

Der nahende Winter und damit einhergehende Prognosen werden oft in Zusammenhang gebracht mit dem Zustand des Stratosphärischen Polarwirbels (SPV). Status quo und ein möglicher Ausblick sollen kurz gegeben werden.

Zunächst wird auf die Themen des Tages vom 10. und 14.01.2021 verwiesen, wo wesentliche Grundlagen und Auswirkungen von plötzlichen Stratosphärenerwärmungen (SSW) bereits hinreichend erläutert wurden (https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/1/10.html und https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/1/14.html).


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So, nun können wir direkt einsteigen in die Materie. Auf der beiliegenden Grafik (siehe auch Erläuterungen darunter in Englisch) ist der zonal gemittelte (auf 60 Grad Nord) zonale Wind in 10 hPa (in ca. 31 km Höhe) aktuell und als Prognose des Ensemble-Forecast-System des EZMWF in Reading dargestellt. Wichtig hierbei sind einerseits negative Werte des zonalen Windes (kleiner 0, unten). Letzteres würde vollständige Windumkehr auf östliche Winde in diesem Bereich der Stratosphäre (Definition eines Major SSW) bedeuten. Andererseits stellt die dicke rote Linie in der Grafik das vieljährige klimatologische des zonal gemittelten zonalen Windes und die dicke blaue Linie die aktuelle Prognose für das so genannte ensemble mean dar, während die dünnen blauen Linien die einzelnen Member des Vorhersagesystems EZMWF repräsentieren.

Klar zu erkennen ist nach der vorübergehenden Schwächung des SPV im Oktober ein deutlicher Aufwärtstrend (Regenerierung) des SPV sogar über das vieljährige Mittel hinaus. Danach bleibt der SPV bis in die erste Dezemberdekade hinein stabil in der Nähe der vieljährigen klimatologischen Mittelwerte (das Vorhersagemodell GFS des amerikanischen Wetterdienstes hat im Übrigen ähnliche Prognosen (hier nicht gezeigt)). Erst danach finden wir auch nicht wenige Member im unteren Bereich (abschwächende Westwinde).

Abschwächende Westwinde oder gar Umkehr auf Ostwinde in der mittleren und oberen Stratosphäre (verbunden mit starker Erwärmung) führt über die Stratopshären-Troposhären-Kopplung im weiteren Verlauf zur Tendenz hohen Luftdrucks im Arktisumfeld. In der Tat favorisieren aktuelle saisonale Prognosen des EZMWF (Stand: 01.11.2021) für die Monate Dezember 21 und Januar 22 einen negativen Index der Arktischen und Nordatlantischen Oszillation (d.h. NAO bzw. AO negativ). Dies könnte ein Ausfließen arktischer Luftmassen weit nach Süden (südwärts verschobene Frontalzone) im atlantisch-europäischen Raum bedeuten, aber mit Hinblick auf die zitierten TdT soll weiterhin der Konjunktiv verwendet werden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist natürlich überhaupt nicht klar, mit welcher Form von Störung oder gar Zusammenbruch des SPV zu rechnen ist. Zudem gehen die weiterführenden saisonalen Prognosen des EZMWF für die Monate Februar und März 2022 von einem eher starken Umschwung zu NAO positiv aus, was wiederum milderen atlantischen Einfluss für Mitteleuropa zur Folge haben könnte.

In der Fachliteratur liest man in diesem Zusammenhang häufig von einer early (frühen) Störung des SPV, die meist von einer Regenerierungsphase gefolgt wird (siehe aktuell Oktoberstörung und Novemberverstärkung des SPV). Physikalisch lässt sich dieser Umstand vereinfacht gesagt damit erklären, dass nach einer markanten Störung bzw. Zusammenbruch des SPV durch starke vertikale Wellenflüsse (meist troposphärischen Ursprungs) letztere in der Folge deutlich nachlassen, da dann ja in der mittleren und oberen (arktischen) Stratosphäre zonal gemittelt Ostwinde vorherrschen, die von den vorherrschenden Westwinden in der Troposphäre dynamisch abgekoppelt sind. Aus diesem Grund ist u.a. die Wellenausbreitung in die Stratosphäre dann vorübergehend deutlich schwächer. Diese physikalischen Prozesse erkennen die Modellvorhersagen (erweiterte Mittelfrist und teils auch saisonal) mittlerweile recht gut.

Wobei wir nun aber bereits bei den anderen Faktoren angelangt sind, die zu einer frühen Störung oder gar zu einem Major SSW in diesem Winterhalbjahr führen könnten. Zum einen wäre da als globale (stratosphärische) Telekonnektion die Quasi-Biennale-Oscillation (QBO, äquatoriale Stratosphäre) zu nennen, die sich aktuell in der östlichen Phase befindet (siehe: https://acd-ext.gsfc.nasa.gov/Data_services/met/qbo/qbo.html). In der Fachliteratur wird ein relativ starker Zusammenhang zwischen östlicher QBO und nachfolgender Schwächung des SPV angegeben. In Vorhersagemodellen mit guter Stratosphärenauflösung dient allerdings als Referenzwert der östliche Wind auf 50 hPa als gute Korrelation für eine Schwächung des SPV. Auf 50 hPa ist der zonale Wind allerdings derzeit noch westlich (siehe Link QBO) und soll laut Prognose erst im Dezember auf Ost umkehren (so genannte absinkende Ostphase). Erst dann würden auch die Modelle noch stärker darauf anspringen. Eine weitere globale Telekonnnektion ist ENSO (EL Ninjo Southern Oscillation), wobei dort zum wiederholten Male eine La Ninja aufkommt.

Kombinationen von La Ninja und östlicher QBO führen statistisch gesehen durch regional verstärkte vertikale Wellenflüsse in bestimmten Bereichen der nördlichen Hemisphäre oft zu erheblichen Schwächungen oder gar Zusammenbrüchen des SPV.

Apropos Statistik - einige saisonale Vorhersagemodelle nutzen so genannte Prädiktoren zur Wintervorhersage. Dort gehen neben dem beschriebenen zonal gemittelten zonalen Wind (in 60 Grad Nord und 10 hPa) auch Faktoren wie Schneebedeckung im November in Sibirien (oder auch Eurasian Snow Cover genannt), Arktiseisausdehnung, Meeresoberflächentemperaturen in bestimmten Bereichen von Atlantik und Pazifik (SST), Novembertemperatur der Stratosphäre in 10 hPa oder auch regionale bzw. zonal gemittelte Wellenflüsse in der unteren Stratosphäre (bei 100 hPa) ein (teils noch in der Planung). Die Idee dahinter sind statistische Korrelationen (auch aus vieljährigen klimatologischen Daten) mit dem zu erwartenden Zustand des SPV sowie der nordhemisphärischen Winterzirkulation. Aufgrund der dargestellten Komplexität gilt aber auch hier der Verweis auf kurz- und mittelfristige Änderungen mit entsprechendem Feedback auf die atmosphärische Zirkulation.

Der kurze Abriss sollte vor allem die vielfältigen Zusammenhänge und Wechselwirkungen der Prozesse darstellen. Daraus kann in gar keinem Falle eine Prognose oder auch Wintertrend abgeleitet werden. Der Autor würde dies eher als Zusammenschau diverser Faktoren mit unterschiedlichem (möglichen) Impact betrachtet wissen und darauf hinweisen, dass diese Darstellung bei Weitem nicht den Anspruch auf Vollständigkeit besitzt.



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