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08. Juni 2020 | Dipl.-Met. Christian Herold

Chaostheorie - Teil 1: Der Schmetterlingseffekt

Chaostheorie - Teil 1: Der Schmetterlingseffekt

Datum 08.06.2020

Der Wettervorhersage sind Grenzen gesetzt. Was das Chaos und ein Flügelschlag eines Schmetterlings damit zu tun haben, zeigen wir in einer kurzen Einführung in die Chaostheorie.

Immer wieder erhalten wir Anfragen der Art: "Wir wollen in zwei Monaten heiraten. Wie wird an unserem Hochzeitstag das Wetter?" In solchen Fällen müssen wir das Hochzeitspaar leider enttäuschen, denn Wettervorhersagen sind für einen so langen Zeitraum nicht möglich. Doch warum sind dem Vorhersagezeitraum Grenzen gesetzt und wo liegen die Grenzen der Vorhersagbarkeit? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns mit dem Wetter als chaotischen Prozess befassen. Tatsächlich war der Begründer der Chaostheorie Edward N. Lorenz ein Meteorologe. Er stieß 1963 auf die Chaostheorie, als er Konvektionsströmungen in flachen Flüssigkeiten und Gasen erforschte. (Bei einem Experiment stieg ein Gas auf, das von einer Heizplatte erhitzt wurde, kühlte sich an der Oberfläche ab und sank an den Seiten wieder nach unten. Dabei bildeten sich Rollen oder sogenannte Konvektionszellen.) Edward Lorenz beschrieb diese Strömungen mit einem Vorhersagemodell, in dem er die Temperatur und die Konvektionsrate in einem Gleichungssystem in Beziehung setzte.


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Zur Lösung dieser Gleichungen benutzte er einen heute vergleichsweise einfachen Computer. Die Entdeckung des chaotischen Verhaltens dieses Systems war eher ein Zufall. Als er sein Modell ein zweites Mal berechnete, wollte er Rechenzeit sparen und gab die Anfangsbedingungen nur mit drei Nachkommastellen anstatt vorher mit sechs Nachkommastellen an. Obwohl die Anfangsbedingungen kaum voneinander abwichen, kam Lorenz nach einer gewissen Zeit zu völlig anderen Ergebnissen. Winzige Variationen in den Anfangsbedingungen haben in manchen Systemen also nicht wie erwartet kaum Auswirkungen, sondern können zu starken Abweichungen führen. Der folgende Abschnitt geht noch etwas ins Detail und kann für das Allgemeinverständnis auch übersprungen werden. Als grafische Lösung der Gleichung erhält man das Gebilde in der Abbildung, was auch Lorenz-Attraktor genannt wird. Die Achsen X, Y und Z stehen für die berechneten Variablen der Gleichungen, die Linie gibt die zeitliche Entwicklung (Verlauf) der jeweiligen Variablen wieder und wird als Trajektorie bezeichnet. Auffällig ist, dass die Trajektorie keiner chaotischen Bahn, sondern vielmehr einer gewissen Ordnung. Sie kreist um zwei verschieden Orbits und schneidet ihre eigene Bahn dabei niemals. Man nennt dieses Gebilde auch einen seltsamen Attraktor. Was allerdings chaotisch ist, ist der Wechsel von einem zum anderen Orbit, der nicht nach einer bestimmten Periode abläuft. Ob die Trajektorie von einem Orbit zum anderen "kippt", hängt dabei stark von den Anfangsbedingungen ab. In der Chaostheorie spricht man dann auch von einer "Bifurkation". Auf die Wettervorhersage übertragen, hat man solche Bifurkationen häufiger bei Grenzwetterlagen. Dann zeigen verschiedene Wettermodellläufe zwei verschiedene Wetterlagen, (was mit dem Wechsel zwischen den zwei verschiedenen Orbits verdeutlicht werden kann.) Oft springt dann die Prognose zwischen diesen beiden Lösungen hin und her. In der aktuellen Mittelfristvorhersage zum Beispiel zeigt für Mitte Juni der überwiegende Teil der Wettermodelle ein Hoch über Nordosteuropa. Dabei würde sich eine sehr warme Ostströmung einstellen. Einige sehr wenige Modelllösungen zeigen aber dieses Hoch etwas weiter östlich, sodass von Westen atlantische Tiefausläufer auf Deutschland übergreifen könnten, die statt der Warmluft kühlere Meeresluft heranführen würden

Wem dieser Abschnitt zu abstrakt war, für den sei hier noch mal zusammengefasst, dass mit der Chaostheorie nicht ein unberechenbares und zufälliges Verhalten von Systemen gemeint ist. Chaotische Systeme sind durchaus berechenbar. Man spricht deshalb auch vom deterministischen Chaos. Ihnen wohnt auch eine gewisse Ordnung inne. Die Kernaussage ist, dass nichtlineare Systeme, wie das Wetter, sehr sensitiv gegenüber kleinen Änderungen in den Anfangsbedingungen sind, die sehr großen Auswirkungen haben. Edward L. Lorenz veranschaulichte diesen Effekt mit einer Metapher, die ihm in den Sinn kam, als er die Form seines Lorenzattraktors (siehe Abbildung) betrachtete: "Kann ein Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?" Heute ist dies als der sogenannte "Schmetterlingseffekt" bekannt. Lorenz' Arbeit hatte große Auswirkungen auf unser Weltbild und beeinflusst auch heute noch die Wettervorhersage. Denn der Anfangszustand der Atmosphäre lässt sich für die Wettermodelle nicht beliebig genau bestimmen. Zum einen gibt es nicht für jeden Punkt der Atmosphäre Messungen, zum anderen sind alle Beobachtungen in einem gewissen Rahmen fehlerbehaftet. Des Weiteren sind die Gleichungen in den Wettermodellen zum Teil nur Näherungen. So werden die Modellrechnungen mit zunehmender Vorhersagezeit immer unsicherer. Wo die Grenzen der Vorhersagbarkeit liegen und wie man dem Chaos in der Vorhersage noch Informationen abringen kann, soll im zweiten Teil Thema sein. Voraussichtlich morgen gibt es dazu mehr.



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