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25. Februar 2019 | Dipl.-Met. (FH) Sebastian Balders, in Zusammenarbeit mit Dr. Markus Übel

Ein Leben in unter -50 Grad Kälte - Ein Erfahrungsbericht aus Oimjakon in Sibirien

Ein Leben in unter -50 Grad Kälte - Ein Erfahrungsbericht aus Oimjakon in Sibirien

Datum 25.02.2019

Das heutige Thema des Tages schildert Erfahrungen einer Reise zum bewohnten Kältepol der Welt und beschreibt, wie die Menschen mit diesen extremen Temperaturen leben.

Schon als Kind war der Winter für mich die schönste Jahreszeit. Das Gefühl bei Kälte und klarem Himmel über frischen Schnee zu laufen und die Stille zu genießen ist einfach wunderbar. Umso tiefer die Temperatur sinkt, desto faszinierender ist es für mich. Nach anfänglichen Kältemessungen unter -20 Grad in Deutschland zog es mich jahrelang nach Lappland, um der Kälte hinterherzujagen. Irgendwann wurden die -30 Grad unterschritten. Es war ein magischer Moment an einem zugefrorenen See morgens in Nordschweden. Dann stellte ich mir vor, wie sich wohl -40 Grad anfühlen. Im Dezember 2014 trat ich schließlich meine Reise nach Sibirien an. Ich flog nach Jakutsk, der kältesten Großstadt der Welt. Schon hier herrschten bei der Landung am Flughafen -47 Grad und Eisnebel hüllte die Stadt ein. Knapp 250.000 Menschen leben hier. Häuser stehen auf Betonstelzen, damit sie im kurzen, aber heißen Sommer (Höchstwerte bis +38 Grad) unter dem Permafrostboden, der kurzzeitig auftaut nicht destabilisieren. Viele Kfz-Motoren laufen im Winter ununterbrochen durch, denn bei den andauernden tiefen Temperaturen unter -40 Grad würden sie wohl nicht mehr anspringen. Nach ein paar Tagen Aufenthalt wollte ich weiter zu einem der kältesten bewohnten Orte der Erde: Oimjakon (zum meteorologischen Hintergrund siehe Thema des Tages vom 17. Februar). Als ich dort ankam, traf ich auf ein kleines Dorf in Nord-Ost-Sibirien, weit weg von allem. Und es waren -53 Grad.


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Wie ist das Leben bei unter -50 Grad?

Eine der häufigsten Fragen, die ich gestellt bekomme, ist, wie Menschen ihren Alltag bei dieser extremen Kälte bis unter -60 Grad organisieren. Ich habe darauf keine einfache Antwort. Zu allererst muss erwähnt werden, dass ich kein Russisch oder Jakutisch spreche und die Einheimischen kein Englisch. Dadurch war eine Kommunikation während der Reise generell sehr schwierig. Dennoch habe ich genug Eindrücke und Erfahrungen gewonnen, die einzigartig und gleichzeitig schwer in Worte zu fassen sind. Allgemein ausgedrückt läuft das Leben in dieser sehr isolierten Gegend langsamer ab als das, was die meisten Menschen bei uns in Mitteleuropa kennen. Das nächste Dorf kann durchaus mehrere Stunden Autofahrt entfernt sein. Es gibt kein fließendes Wasser! Rohre zu verlegen ist bei diesen Minustemperaturen unmöglich, da jede Wasserleitung rigoros platzen würde. Anstelle dessen versorgt ein LKW, der einmal pro Woche das Dorf ansteuert, die rund 800 Einwohner mit Wasser. Jeder Haushalt hat eine Wassertonne im Haus, die für Kochen und Waschen reichen muss. Internet gibt es ansatzweise über Satellit und manche Menschen können sich auch ein Smartphone leisten. Die Internetverbindung und Geschwindigkeit ist jedoch langsam. Ein Bilddownload von 1 MB dauert bis zu 10 Minuten und oft gibt es auch gar keine Verbindung. Geheizt wird meist klassisch mit Ofen und Holz. Dabei ist es nicht ungewöhnlich, dass man nachts aufstehen und Holz nachlegen muss, sonst würde das Haus abrupt auskühlen. Ich habe in meiner Unterkunft nachts nur 13 Grad gemessen. Es gibt einen kleinen Tante-Emma-Laden, der ebenfalls unregelmäßig mit LKW-Lieferungen aus Jakutsk versorgt wird. Alles ist von der Witterung und dem Verkehr abhängig, immerhin muss der LKW bis nach Oimjakon über 1000 km zurücklegen. Ich hatte den Eindruck, dass gerade die Wintermonate sehr ruhig verlaufen und die Menschen eher zu überwintern versuchen. Im Sommer dagegen, wenn der Permafrostboden teilweise auftaut, kann es bis über 30 Grad warm werden. Allerdings versinkt dann ein Großteil Jakutiens im Schlamm und viele Dörfer sind von der Außenwelt abgeschnitten. Helikopter versorgen dann diese Orte mit Lebensmitteln. In dieser Lebenssituation ist es absolut notwendig, sich gegenseitig zu unterstützen. Das eiserne Gesetz Russlands lautet: In der Kälte lässt man niemanden allein. Auch ich habe auf meiner Reise warmherzige und sehr gastfreundliche Menschen erlebt, die mich jederzeit auf eine Tasse Tee eingeladen haben.

Wie fühlen sich -50 Grad an?

Das Wichtigste für einen Spaziergang sind warme Kleidung und das sogenannte Zwiebelprinzip. Eine dicke Winterjacke allein würde nicht ausreichen. Ich trug drei bis vier Schichten Kleidung (T-Shirt, Pullover, Fleecejacke und Winterjacke sowie eine lange Unterhose, Jeans und zuletzt eine dicke Skihose). Die niedrigste Temperatur, die ich gemessen habe, betrug -56 Grad. Mir fällt es bis heute schwer, auch nur annähernd eine Beschreibung dafür abzugeben. Wenn die Temperatur in Deutschland auf -20 Grad fällt, kann es schon einmal passieren, dass die Nasenschleimhäute leicht einfrieren. Bei unter -50 Grad geschieht dies schneller und man bekommt das Gefühl, dass das Gesicht schnell taub wird. Nach circa 30 min Aufenthalt in der Kälte fängt das Gesicht an zu schmerzen. Deshalb habe ich zum Schutz eine Maske getragen. Es war ein Kälteabenteuer der Extreme. Doch auch hier gilt wie so oft: Der Mensch ist anpassungsfähig. Kinder gehen dort auch bei -40 Grad zur Schule und Busse bringen die Menschen in Jakutsk zur Arbeit. Und wer sich warm anzieht, hat mit Kälte auch kein Problem. Egal ob in Deutschland oder am kältesten Ort der Welt.



© Deutscher Wetterdienst

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