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29. Dezember 2016 | Dipl.-Met. Thomas Ruppert

Erst früherer Abend, dann späterer Morgen...

Erst früherer Abend, dann späterer Morgen...

Datum 29.12.2016

...diese auf den ersten Blick überraschende Tatsache wurde am 20.12.2016 an dieser Stelle bereits von unserem Kollegen Christoph Hartmann von ihrer "rein praktischen" Seite beleuchtet. Heute folgt nun eine Skizzierung der himmelsmechanischen Ursachen.

Während unsere bäuerlichen Altvorderen sich in ihren Aktivitäten nach dem Sonnenstand richteten, teilen wir unseren Tag nach der Uhrzeit ein, unser Leben wird von Arbeitsabläufen, Terminen und Fahrplänen bestimmt. Die langen und dunklen Winternächte machen es uns deutlich, wir leben mit einer künstlichen Zeit, die von Armbanduhr und elektrischem Licht bestimmt wird. So sind wir im Winter buchstäblich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf den Beinen, wogegen uns im Sommer der dann sehr frühe Sonnenaufgang meist entgeht.

Aufmerksamen Zeitgenossen fällt daher gerade in diesen Wintertagen etwas Merkwürdiges auf. Zwar war der Tag der Sonnenwende am 21. Dezember 2016 der kürzeste, jedoch fand der früheste Sonnenuntergang dieses Jahres bereits am 12. Dezember statt, beispielsweise in Frankfurt am Main (50°07'N, 08°41'E) um 16:24 Uhr Mitteleuropäischer Zeit (MEZ). Seitdem verschiebt sich der Sonnenuntergang zeitlich nach hinten. Demgegenüber erfolgt der späteste Sonnenaufgang in diesem Winter am 31. Dezember 2016, in der Mainmetropole z.B. um 08:25 Uhr. Bis dahin verschiebt sich der Sonnenaufgang zeitlich nach hinten.


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Dies hat seine Ursache in zwei Phänomenen, und zwar in der Exzentrizität der Erdbahn sowie der Neigung der Erdbahnebene gegenüber dem Äquator. Beide Effekte bewirken eine Differenz zwischen Wirklicher Sonnenzeit oder Wahrer Ortszeit (WOZ, wird von der Sonnenuhr angezeigt) und einer modellhaften Mittleren Sonnen- oder Mittleren Ortszeit (MOZ), welche auch von unseren gleichmäßig laufenden, heute sehr präzisen Uhren angezeigt wird. Beide Phänomene erzeugen im Jahresgang sinus-ähnliche Kurven der Zeitdifferenz mit leicht phasenverschobenen Extremwerten, ihre Überlagerung findet sich in der sog. Zeitgleichung wieder.

Die Erde bewegt sich entgegen dem Uhrzeigersinn in einer schwach exzentrischen Keplerellipse um unser Zentralgestirn. Wenn sich ihre Bahngeschwindigkeit (gemäß zweitem Keplerschen Gesetz) in Perihel-Nähe (um den 3. Januar) vergrößert, benötigt sie bei nahezu konstanter Eigenrotation mehr Zeit zwischen zwei Meridiandurchgängen. Der Sonnentag wird länger und die Kulmination der Sonne - per definitionem Mittag - verzögert sich gegenüber der von gleichmäßig laufenden Zeitmessern angezeigten 12:00-Uhr-Marke, d.h. eine Sonnenuhr würde nachgehen. Bei Verringerung ihrer Bahngeschwindigkeit gegenüber dem Mittelwert, etwa in Aphel-Nähe (um den 5. Juli), benötigt die Erde weniger Zeit, bis nach einer Umdrehung die Sonne wieder im Süden steht, d.h. die wahre Sonnenzeit eilt der mittleren voraus, die Sonnenuhr geht vor.

Bekanntlich steht die Erdachse nicht lotrecht auf der Erdbahnebene (Ekliptik), vielmehr bildet sie mit ihr einen Winkel von etwa 66,5°, woraus sich eine Neigung der Ekliptik gegenüber dem (Himmels-)Äquator von 23,5° ergibt. Während die scheinbare Bewegung der Sonne um die Erde entlang der Ekliptik erfolgt, bezieht sich die Messung der Tageszeit auf die Rotation der Erde innerhalb der Äquatorebene und den Meridiandurchgang der Sonne. Folglich würde sich selbst ein - in natura nie stattfindendes - gleichförmiges Fortschreiten der Sonne entlang der Ekliptik nicht als gleichförmiges Fortschreiten auf der Äquatorebene zeigen. Steigt oder fällt die Sonne entlang der Ekliptik stark, wie zu den Tag- und Nachtgleichen, verlangsamt sich die auf die Äquatorebene projizierte Bewegung - eine Sonnenuhr ginge nach; steigt oder fällt sie schwach, wie zu den Sonnenwenden, beschleunigt sich die auf die Äquatorebene projizierte Bewegung und die Sonnenuhr würde vorgehen.

Die durch die Himmelsmechanik unseres Sonnensystems hervorgerufenen Zeitunterschiede zwischen wahrer und mittlerer Sonne werden in der Zeitgleichung formal als Differenz zwischen Wahrer Ortszeit (WOZ) und Mittlerer Ortszeit (MOZ) dargestellt. Die deutlichste Änderung der Zeitgleichung macht sich in den Tagen um die Wintersonnenwende bemerkbar, mit Vorzeichenwechsel am 25. Dezember, während sich die Tageslängen nur geringfügig verkürzen bzw. verlängern. Mitte Dezember war die Zeitgleichung noch positiv, die Sonnenuhr ging vor, d.h. die wirkliche Sonne war schneller als die mittlere und sank daher, gemessen nach unserer Uhrzeit, früher unter den Horizont. Anfang Januar ist die Zeitgleichung schon deutlich negativ, eine Sonnenuhr ginge nach, d.h. die wirkliche Sonne ist langsamer als die mittlere und geht daher, verglichen mit unserer Uhrzeit, später auf.

Aufmerksame Zeitgenossen irren sich also nicht, wenn es ihnen in der Adventszeit abends, zu Beginn des neuen Jahres hingegen morgens besonders dunkel erscheint.



© Deutscher Wetterdienst

Bild: Thomas Steiner, CC-BY-SA 2.5