18. Februar 2015 | Dipl.-Met. Thomas Ruppert
Ende einer meteorologischen Ära: Letzte Handanalyse von Bodenwetterkarten im Deutschen Wetterdienst
Wetter, Witterung und Klima der mittleren Breiten, also auch unser Deutschlandwetter, werden durch die zwischen den subtropischen Hochdruckgürteln und den Polarregionen anzutreffende Westwinddrift mit ihren einander abwechselnden Hoch- und Tiefdruckgebieten bestimmt.
Diese Hoch- und Tiefdruckgebiete sind dreidimensionale Wirbel mit meist vertikaler Achse, deren Verlagerung von der Höhenströmung in der mittleren Atmosphäre gesteuert wird. Sie realisieren den Energieaustausch zwischen niederen und hohen geographischen Breiten, in dem an ihren Vorderseiten warme (subtropische, selten auch tropische) Luftmassen nordwärts und auf den Rückseiten kalte (polare bzw. subpolare) Luftmassen südwärts gelenkt werden.
Dabei kommt der Begriff Front ins "Spiel". Als Front bezeichnet man
die Schnittlinie einer Fläche am Boden bzw. auf der Bodenwetterkarte,
welche zwei Luftmassen mit unterschiedlichen physikalischen
Eigenschaften voneinander trennt. Frontalzonen und Fronten bilden
sich immer dann, wenn durch die atmosphärische Zirkulation bedingt,
verschiedene Luftmassen gegeneinander strömen und seitwärts abgelenkt
werden. Frontalzonen sind Ursprungsgebiete außertropischer
Tiefdruckgebiete, welche verschiedene Luftmassen in ihre Zirkulation
einbeziehen, in deren Grenzgebieten sich dann Fronten ausbilden.
Innerhalb einer Luftmasse sowieso, aber auch beim Übergang von einer
Luftmasse zu einer anderen erfolgt die horizontale Änderung dieser
Eigenschaften (u.a. Temperatur, Dichte, Feuchtigkeit) streng genommen
kontinuierlich. Sie kann aber so scharf sein, dass man faktisch von
Grenzflächen zwischen den Luftmassen spricht. Vor allem die
horizontale Temperaturänderung verläuft diskontinuierlich. Im Bereich
einer Frontfläche vermischen sich Luftmassen mit unterschiedlichen
Temperaturen und Wasserdampfgehalten. Die "Mischluft" ist übersättigt
und es kommt zur Kondensation des Wasserdampfes, daher sind Fronten
vielfach mit Wolken und Niederschlagsbildung verbunden.
Wie auch immer, wer in den mittleren Breiten Wettervorhersage
betreibt, kann sich dem Frontbegriff nicht entziehen. Folglich ist
die Analyse von Bodenwetterkarten als Abbild des Ist-Zustandes des
aktuellen Wetters aus mehreren Gründen in der täglichen Praxis im
Vorhersagedienst unverzichtbar. Bei der Analyse von Bodenwetterkarten
kommt das so genannte "Frontenkonzept" zum Tragen, das sich seit mehr
als 100 Jahren in der synoptischen (d.h. "zusammenschauenden")
Wetterkunde bewährt hat. Das Frontenkonzept erleichtert wesentlich
die Beschreibung und Diagnose von Wetterlagen.
Analysierte Bodenwetterkarten sind auch im Kreise der Nutzer (u.a.
Krisenstäbe im Katastrophen-Management, Behörden, wissenschaftliche
Institutionen) sowie in der interessierten Öffentlichkeit wohlbekannt
und folglich eine vertraute und verständliche Darstellungsform (z.B.
Zeitungswetterkarten). Außerdem werden die innerdienstliche
Kommunikation der Meteorologen untereinander und die Verständigung
mit weiteren Nutzern durch das Frontenkonzept deutlich verbessert.
Die Einführung des Frontenkonzeptes in die numerische Analyse und
Prognose konnte allerdings bisher nicht befriedigend gelöst werden,
so dass hierbei die manuelle Bearbeitung überlegen ist.
Wie gesagt, werden Fronten häufig von markanten Wetterereignissen
begleitet. Die Frontenanalyse und deren Verlagerung bieten daher ein
ideales Instrument zur Wetterüberwachung und -vorhersage.
Insbesondere sommerliche Konvergenzen (Squall-Lines) mit der Gefahr
von Unwettern durch konvektive Umlagerungen werden von numerischen
Modellen nur unzureichend simuliert und können durch manuelle
Analysen besser herausgearbeitet und somit überwacht werden. In der
Kürzestfristprognose liefern Beobachtungsverfahren nach wie vor
bessere Ergebnisse als die Numerik. Manuelle Fronten- und
Konvergenzanalysen sind wesentlicher Bestandteil dieser
Vorgehensweise. So werden Analysen zu einem unverzichtbaren
Erfahrungsgewinn für die Wetterüberwachung und das Nowcasting
insbesondere sommerlicher Schwergewitterlagen.
Weiterhin bieten archivierte Bodenwetterkarten mit analysierten
Fronten ein ideales Instrument für Recherchen jeglicher Art. Dadurch
liefern solche Karten einen Beitrag zur klimatologischen
Grundversorgung und für dokumentarische Zwecke, insbesondere auch für
wissenschaftliche Arbeiten an Universitäten. Tropische Wirbelstürme,
die in abgeschwächter Form auch das Wetter in Deutschland
beeinflussen können, werden durch numerische Modelle bislang
unzureichend aufgelöst und prognostiziert. Auch hierbei ist eine
manuelle Analyse deutlich überlegen und hilfreich für die Bewertung
der numerischen Prognosen. Schließlich wird das Frontenkonzept auch
für Prognosekarten (Fachterminus: Thematische Karte Boden - TKB)
beibehalten, unbedingt muss auch hier Isaac Newtons Erkenntnis
gelten: ohne die Kenntnis des Anfangszustandes ist keine Aussage über
künftige Ereignisse möglich! D.h. ohne Frontenanalyse kann es auch
keine vernünftige Frontenvorhersage geben!
Nach über 100 Jahren manueller Analyse von Bodenwetterkarten - auf
Papier mit Bleistift und Radiergummi - werden die Analysen im DWD ab
heute, 18.02.2015 12:00 UTC, mit einem entsprechenden elektronischen
Editor ausschließlich am Bildschirm ("On Screen") durchgeführt. Das
letzte auf herkömmlichem Wege ("Off Sreen") analysierte, dann
eingescannte und an die Kunden per Datennetz verteilte, sog. C-Format
vom 18.02.2015 06:00 UTC, finden Sie nebenstehend.
Dipl.-Met. Sabine Krenovsky,
© Deutscher Wetterdienst
Bild: DWD
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