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28. Oktober 2015 | Dipl.-Met. Helge Tuschy

Polartiefs - Eisige Hurrikans in polaren Breiten?

Polartiefs - Eisige Hurrikans in polaren Breiten?

Datum 28.10.2015

Das ganze Jahr über, aber besonders während der Winterzeit, sorgen Polartiefs eng begrenzt für teils heftige Wettererscheinungen wie Sturmböen und kräftige Schneefälle. Doch was treibt sie an und was hat es mit Ähnlichkeiten zu tropischen Stürmen auf sich?

Der aufmerksame Leser vergangener Themen des Tages wird sich sicherlich über die heutige Überschrift wundern, denn in zahlreichen Beiträgen wurden diverse Daten und Erklärungen zu Tropenstürmen (u.a. im Nordatlantik als "Hurrikan" bezeichnet) dargelegt. Doch wie kann solch ein tropisches Wetterphänomen mit den Worten "polar" und "Arktis" in Verbindung gebracht werden?


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Bevor wir die Fragen klären, gehen wir zunächst einmal näher auf diese speziellen Tiefdruckgebiete ein. Entsprechend ihres Namens treten sie besonders in den Polargebieten von Arktis und Antarktis auf. Dabei handelt es sich meist um sehr kleinräumige Tiefdruckgebiete, die eine Lebensdauer von mehreren Stunden bis teils auch mehreren Tagen haben und teils sehr kräftig ausfallen können. Die "European Polar Low Work Group" gibt folgende Definition an: "Ein Polartief ist ein kleinräumiges, aber ziemlich intensives Tiefdruckgebiet in maritimen Gebieten mit einem Durchmesser von 100 bis 600 km und mit bodennahen Windgeschwindigkeiten von mehr als 55 km/h (Bft 7)." Der Antrieb dieser Wirbel ist u.a. in der Konvektion zu finden. Diese entsteht, wenn sehr kalte arktische oder antarktische Luftmassen von ihrer kontinentalen Ursprungsregion z.B. durch eine großräumige Tiefdruckentwicklung auf Reise geschickt werden und die umgebenden Ozeane erreichen. Das Wasser weist im Vergleich zu der bitterkalten Kontinentalluft eine deutlich höhere Temperatur auf, die in zunehmender Entfernung zur Eiskante auch sukzessive ansteigt. Man kann sich den Ozean nun wie eine Heizplatte vorstellen, der die darüberstreichende eisige Luftmasse von unten "aufheizt". Die Folge ist, dass die Luftmasse zunehmend labil wird, denn die über dem Meer erwärmte Luft steigt auf, kühlt ab und kondensiert zu Schauerwolken. Je größer der Temperaturunterschied zwischen der Luft und dem Wasser ist, desto hochreichender ist die Konvektion, wobei in der Polartiefvorhersage eine Temperaturdifferenz zwischen Meeresniveau und 5 km von mehr als 44 Kelvin (ein Kelvin entspricht einer Temperaturdifferenz von einem Grad Celsius) als günstig für die Polartiefentwicklung angesehen wird. Wenn nun durch einen externen Faktor wie z.B. eine Insel wie Svalbard/Spitzbergen oder aber in einem Bereich mit hohen horizontalen Temperaturgegensätzen ein Wirbel entsteht, dann kann dieser die Konvektion zunehmend zentrumsnah organisieren und konzentrieren. Die in der Konvektion stattfindende Kondensation sorgt für eine Freisetzung latenter Wärme, die zentrumsnah den Tiefdruckwirbel weiter antreibt und verstärkt.

Die Folge ist ein kleinräumiger Wirbel, in dem Sturmböen, teils auch schwere Sturmböen, auftreten können. Bei Durchzug der Schauer muss mit heftigem Schneefall oder Graupel gerechnet werden, teils treten auch Gewitter auf. Wenn solch ein Polartief auf Land trifft, kann man sich vorstellen, dass engräumig mit massiven Beeinträchtigungen im Straßenverkehr gerechnet werden muss. Auch für die Schifffahrt stellen diese Tiefdruckgebiete eine Gefahr dar (u.a. durch heftigen Wellengang und Vereisung aber auch durch eine sehr plötzliche und markante Windzunahme). Sobald diese Tiefdruckgebiete auf Land treffen, fehlt ihnen ihre "Heizplatte". Über Land schwächen sich die vertikalen Temperaturunterschiede wieder ab und mit ihr auch die Konvektion. Dies kann binnen weniger Stunden passieren, jedoch können die Reste in Form kräftiger Schneeschauer bis weit ins Landesinnere für teils erheblichen Neuschnee sorgen. Oben wird ein solch prachtvolles Exemplar eines Polartiefs gezeigt, welches im vergangenen Januar vor Norwegen auftrat.

Besonders früh entbrannte das Interesse an der Erforschung dieser Tiefdruckgebiete in Skandinavien und Großbritannien, wo wiederholt teils kräftige Polartiefs für Ungemach sorgten. Zwar sind die Auswirkungen dieser Polartiefs in der Literatur sehr weit in die Vergangenheit zurück zu verfolgen, doch erst mit Hilfe von polar umlaufenden Wettersatelliten während der 60er Jahre erkannte man, wie häufig diese Tiefdruckgebiete während der Winterzeit wirklich auftraten. Und sie sind ja nicht nur auf den Nordatlantik beschränkt. Auch im Nordpazifik und rund um die Antarktis können diese Polartiefs auftreten, fallen in der südlichen Hemisphäre jedoch meist schwächer aus, was unter anderem auf die eher zonale Strömung rund um die Antarktis zurückzuführen ist (zonal bedeutet eine von West nach Ost ausgerichtete Strömung mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit, dass die kalte Kontinentalluft nordwärts über die freien Ozeanflächen transportiert werden kann). Global gesehen ist die Häufigkeit des Auftretens sehr variabel und schwankt zum Beispiel im Nordatlantik zwischen 30 und 60 Ereignissen pro Jahr, mit teils noch größeren Ausreißern nach oben.

Bleibt noch die zu Beginn gestellte Frage zu beantworten, wie der Begriff "Hurrikan" mit "Arktis" in Verbindung gebracht werden kann. Laut einer Auflistung, die von E. Rasmussen in "Polar Low: Mesoscale Weather System in the Polar Regions" aufgestellt wurde, trat unter anderem am 25. April 1985 ein so kräftiges Polartief auf, dass Bodenwinde von mehr als 120 km/h (Bft 12) gemessen wurden, was den Schwellenwert für einen Hurrikan darstellt. Ähnlichkeiten der tropischen und polaren Wirbel sind, dass sich bei beiden Sturmarten durch die Freisetzung latenter Wärme zentrumsnah ein sogenannter "warmer Kern" entwickelt, also eine positive Temperaturanomalie. Diese ist bei Polartiefs meist nur seicht, während sie in Tropenstürmen hochreichend ist. Die Anomalie bedeutet nichts weiter, als dass diese Tiefdruckgebiete durch die starke, zentrumsnah organisierte Konvektion angetrieben werden. Besonders kräftige Polartiefs bilden manchmal auch die für Tropenstürme typische "Augenstruktur" aus, also einen wolkenfreien Bereich direkt im Zentrum des Sturmes. Auch weitere Studien u.a. mit numerischen Modellen zeigen gewisse Ähnlichkeiten auf, wobei dies jedoch bis heute noch Gegenstand intensiver Untersuchungen ist. Eine eindeutige Antwort kann daher bis heute nicht gegeben werden.



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