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08. Juli 2015 | Dipl.-Met. Adrian Leyser

Unwetter mit Orkanböen sorgen für enorme Schäden

Wir Meteorologen freuen uns eigentlich immer wie Schneekönige, wenn wir mit unseren Vorhersagen mal richtig liegen. Doch in diesem Fall muss man sagen, "leider" trafen die Prognosen der vergangenen Stunden und Tage zu. Es kam am gestrigen Dienstag und in der Nacht zum heutigen Mittwoch zu den angekündigten, teils schweren Gewittern.


Auf der Westflanke eines Tiefs bei den Britischen Inseln konnte sich
zunächst im Süden und Südwesten, später auch weiter nach Nordosten zu
nochmals ein Schwall feucht-warmer Subtropikluft durchsetzen. Im
Vorfeld einer Kaltfront, die Deutschland bis Mittwochfrüh
weitestgehend von Nordwest nach Südost überquert haben sollte,
erwiesen sich wie so oft die Mittelgebirge als Quellgebiet besonders
intensiver Gewitterzellen. Vom frühen Nachmittag an beginnend
bildeten sich über den westlichen und südwestlichen Mittelgebirgen
(u. a. Eifel, Pfälzer Wald, Vogesen) zunächst isolierte
Gewitterzellen, bevor sie sich zum Abend und in der Nacht zu mehreren
Gewitterlinien gruppierten und von Südwest nach Nordost über das Land
hinwegzogen.

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Anhand der Verteilung der Blitze (sie ist ein Maß für die Aktivität
und damit auch der Intensität der Gewitter, siehe die Abbildung) lassen sich mehrere Schwerpunkte ausmachen.
Eine markante Gewitterlinie entwickelte sich so zum Beispiel über
Eifel und Westerwald und zog unter Intensivierung über Nordhessen,
Südniedersachsen, Nordthüringen, Sachsen-Anhalt und Südbrandenburg
(Nummer 1). Ausgehend von ganz besonders intensiven, isolierten
Gewitterzellen über der Pfalz formierten sich weitere
Gewitterstaffeln, die vor allem den Süden und Südosten Hessens,
Unter- und Oberfranken, Thüringen und Teile Sachsens betrafen (Nummer
2). Mehrere Gewitterherde entstanden am späteren Abend über den
Vogesen und der Alb und verlagerten sich über die mittleren Teile von
Baden-Württemberg und Bayern nordostwärts nach Tschechien (Nummer 3).
Schließlich ließ sich auch der westliche Alpenraum bzw. Alpenrand,
die Ostschweiz und die Bodenseeregion um genau zu sein, "nicht
lumpen" und brachte schließlich eine weitere markante Gewitterlinie
hervor, die im Verlaufe der Nacht zum Mittwoch über Oberschwaben,
Schwaben, Oberbayern und Niederbayern hinweg zog (Nummer 4).

Neben Starkregen und größerem Hagel gingen ganz besonders von teils
extremen Gewitterböen hohe Unwettergefahr und Schadenspotenzial aus.
So sorgte die entsprechende Gewitterlinie zwischen Nordhessen und
Südbrandenburg (Nummer 1) verbreitet für Sturmböen, einzelne schwere
Sturmböen und sogar orkanartige Böen (Frankenberg-Geismar 108 km/h,
Fritzlar 112 km/h, Eschwege-Eltmannshausen 115 km/h). Spitzenreiter
bei den Gewitterböen war Erfurt. Dort wurde eine Orkanböen mit 119
km/h registriert. Richtig "zur Sache" ging es auch bei den
Gewitterherden über den mittleren Teilen Baden-Württembergs und
Bayerns (Nummer 3). Harburg (122 km/h), Nürnberg (126 km/h) und
Selb-Spielberg (119 km/h) meldeten jeweils Orkanböen.


Tornados: Ja? Nein?

Das durch die Gewitter verursachte Schadensausmaß ist eng begrenzt
(z. B. Framershausen bei Alzey und Halle an der Saale) durchaus mit
dem zu vergleichen, was auch bei Tornados beobachtet wird. Es
verwundert daher nicht, dass sich schnell angebliche Meldungen über
Tornados in den Medien verbreiten. Fakt ist, solange kein
aussagekräftiges Bildmaterial vorliegt und das genaue Schadensbild
von Experten vor Ort nicht untersucht wurde, bleibt es bei einem
Verdacht. Die Bedingungen für die Entwicklung von Tornados waren
gestern zudem alles andere als optimal. Vieles deutet darauf hin,
dass es sich in den genannten Extremfällen um besonders heftige
Gewitterböen, sogenannte Fallböen oder auch Downbursts handelte, die
mit Geschwindigkeiten bis weit in den Orkanbereich für regelrechte
Verwüstungen sorgten. Ein finales "Urteil" liegt aus genannten
Gründen noch nicht vor. Schuldig im Sinne der Anklage oder doch
Freispruch aus Mangel an Beweisen?


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