Facebook Twitter
Drucken
18. Juni 2015 | Dipl.-Met. Helge Tuschy

Wenn Wolken nachts erstrahlen

"Eine sichtbare Ansammlung winziger Wassertröpfchen und/oder Eispartikel in der Atmosphäre über der Erdoberfläche". So lautet die schlichte Wolkendefinition im Glossar des Deutschen Wetterdienstes oder der American Meteorological Society.

Dies ist jedoch eine rein
wissenschaftliche Betrachtungsweise der Bewölkung in der Troposphäre
(die unterste Schicht der Atmosphäre). Die Bevölkerung sieht dieses
Phänomen häufig mit anderen Augen, nicht selten fasziniert von der
Vielfalt an Strukturen mit einem teils drohenden oder gar
romantischen Erscheinungsbild. Mal hat man den Eindruck, man könne
die regenträchtigen Wolken mit der Hand erreichen, mal erscheinen sie
uns in Höhen von bis zu 12 km in unerreichbarer Ferne. Wolken
begleiten uns meist tagtäglich durch unser Leben, scheinen teils
bewegungslos am Himmel zu verharren, oder brausen über die Landschaft
und nicht selten fallen sie nach Sonnenuntergang mit nachlassender
Kraft der einfallenden Sonnenstrahlen wieder in sich zusammen und
geben den Blick auf den nächtlichen Sternenhimmel frei.
Doch zu einer bestimmten Jahreszeit und zu nächtlicher Stunde können
Wolken auftreten, die sich dem bisher beschriebenen Verhalten
entziehen. Sie bilden sich in einem gänzlich anderen Bereich unserer
Atmosphäre und erlangen ihre leuchtende Wirkung auch erst nach
Einfall der Nacht: die sogenannten "leuchtenden Nachtwolken (engl.:
"noctilucent clouds"). Die Kollegin Julia Fruntke konnte dieses
Phänomen im Sommer des letzten Jahres beobachten. Doch in welcher Umgebung und wieso genau
entwickeln sich solche Wolken?

Zum Vergrößern bitte klicken
Zum Vergrößern bitte klicken


Eisig! Dieses Wort umschreibt wohl die "Wohlfühltemperatur" der
leuchtenden Nachtwolken am besten, denn sie treten in einem
Höhenbereich von 80 bis 85 km auf, wo die Temperaturen im Mittel bei
-90 Grad, teils jedoch deutlich unter -120 Grad verharren. Dabei
befinden wir uns bereits weit jenseits der wetteraktiven Zone unserer
Atmosphäre, der uns allen bekannten Troposphäre. Nein, wir sprechen
über die oberen Bereiche der sogenannten Mesosphäre, die durch die
Mesopause von der darüber liegenden Thermosphäre abgegrenzt wird,
welche wiederum bereits fließend in den Weltraum übergeht. Solch
eisige Temperaturen sind auch von Nöten, denn dieser Bereich der
Atmosphäre weist nur einen sehr geringen Wasserdampfanteil auf. Damit
sich solche Wolken entwickeln können, bedarf es der extrem kalten
Temperaturen von unter -120 Grad, die jedoch zeitlich und räumlich
nur sehr begrenzt auftreten, nämlich dank komplexer thermodynamischer
Vorgänge von Mai bis August.

Doch niedrige Temperaturen alleine können die Bildung dieser Wolken
noch nicht erklären, denn es bedarf ja auch gewisser
Kondensationskerne, die dafür sorgen, dass sich die Eispartikel an
diesen ablagern können. Hierzu hat die Wissenschaft mehrere Antworten
parat. Weiterhin gilt die Vermutung, dass nach besonders intensiven
Vulkanausbrüchen die Asche ausreichend hoch in diesen Bereich der
Atmosphäre geschleudert werden kann, wurden doch die ersten
leuchtenden Nachtwolken nach dem Ausbruch des Krakatau (Indonesien)
im Jahr 1885 beobachtet. Die Hauptverursacher jedoch scheinen vor
allem verglühende Meteoroide zu sein, die entsprechende
Kondensationskerne in Form von Staubpartikeln in diesen
Atmosphärenbereich einbringen. Ist das nicht eine faszinierende
Vorstellung, dass die aus den Tiefen des Weltraums und nach einer aus
unserer Zeiterfassung nicht rational erfassbaren Reisezeit
eintreffenden und rasch zerfallenden/verglühenden Gesteinsbrocken die
Grundlage für die Bildung dieser mystisch ausschauenden Wolken
bilden?

Untersucht werden diese Wolken übrigens zum Beispiel am
Leibniz-Institut für Atmosphärenphysik (IAP) in Kühlungsborn, wo
dieses Phänomen entweder aktiv mit Hilfe von LIDARs (Light Detecting
and Ranging, wo Laserimpulse ausgesandt werden und das aus der
Atmosphäre zurückgestreute Licht detektiert wird) oder passiv mit
Kameras beobachtet und untersucht wird.

Die Eiswolken sind natürlich auch tagsüber vorhanden, jedoch kann man
sie aufgrund des Sonnenlichtes nicht erkennen, sodass man abwarten
muss, bis die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist. Der
Literatur entsprechend reicht dabei bereits ein Sonnenstand von 6°
unter dem Horizont aus, dass man die Wolken erkennen kann, wobei die
besten Bedingungen, sprich die strahlendsten Wolken, bei einem
Sonnenstand von 10-12° unterhalb des Horizonts auftreten. Dann ist
der Himmel bereits dunkel genug um die Wolken zu erkennen, die jedoch
noch von der Sonne angestrahlt werden. Die bläuliche Farbgebung
erklärt sich daraus, dass die Eispartikel den grünen, blauen und
violetten Anteil streuen, wobei der bevorzugte blaue Anteil
letztendlich den für den Betrachter "bläulichen Stich" ergibt.
Derweilen wurden die Farbanteile rot und vor allem orange bereits
beim Durchqueren der Stratosphäre mithilfe des Ozons absorbiert.
Somit kann man in den genannten Sommermonaten zwischen dem 50. und
65. Breitengrad immer wieder diese märchenhaft anmutenden zarten,
bläulichen Schleier erkennen. Diese können in Norddeutschland von
Anfang Juni bis Mitte Juli auch die gesamte Nacht über sichtbar sein,
da die Nachtwolken nie in den Erdschatten gelangen. Nördlich des 65.
bis 70. Breitengrads wiederum sinkt die Sonne nicht tief genug, um
den Blick auf diese Wolken freizugeben.

Auch in diesem Jahr gab es bereits die ersten Sichtungen, wie z.B.
vom 6. auf den 7. Juni 2015 im Norddeutschen Tiefland. Leider spielt
das Wetter die kommenden Tage deutschlandweit nur bedingt mit, denn
wiederholt durchziehende Tiefausläufer sorgen mit dichten Wolken für
geringe Chancen, dass man die Nachtwolken erblicken kann. Doch
sollten Sie mal nach Sonnenuntergang oder vor Sonnenaufgang unterwegs
sein, dann lohnt sich gewiss ein Blick in Richtung Himmel und
vielleicht werden Sie ja Zeuge dieses Naturschauspiels. Ich drücke
Ihnen die Daumen!



© Deutscher Wetterdienst