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16. Juni 2015 | Dipl.-Met. Thomas Ruppert

Schafskälte und Spätfröste

Seit Sonntagabend gelangt an der Ostflanke des Hochdruckgebietes YOKO mit nördlicher bis nordöstlicher Strömung Meeresluft polaren Ursprungs nach Mitteleuropa.


YOKO ist ein Keil des legendären Azorenhochs und erstreckt sich derzeit bis in den Nordseeraum. In der "synoptischen Klimatologie", einem "Grenzfach" zwischen der landläufig als "Wetterkunde" bezeichneten "synoptischen Meteorologie" und der "regionalen Klimatologie", kann man solch eine Wetterlage als "Nordwestlage" klassifizieren. Da inzwischen alle niederschlagsträchtigen Frontensysteme südwärts in Richtung Alpen abgedrängt worden sind und hoher Luftdruck das Wetter in Mitteleuropa bestimmt, bekommt diese Großwetterlage noch das Adjektiv "antizyklonal". "Antizyklonale Nordwestlagen" gehören zu denjenigen Großwetterlagen, welche die etwa Mitte Juni häufig auftretende "Schafskälte" verursachen können.

Dabei wird die Abkühlung nicht nur durch den fehlenden Wärmeinhalt
der zugeführten Luftmasse hervorgerufen. Ein großer Teil des
nächtlichen Abkühlungsbetrages ergibt sich aus den Wirkungen der
langwelligen, infraroten Strahlung. Dazu muss man wissen, dass die
Erde und damit auch die Atmosphäre ihre Energie im Wesentlichen durch
die tagsüber von der Sonne empfangene, kurzwellige Strahlung im
sichtbaren Spektralbereich gewinnen. Sie wird vor allem an der
Erdoberfläche absorbiert und dann an die Atmosphäre in Form von Wärme
abgegeben. Nachts dominiert der Energieverlust durch langwellige
Ausstrahlung von der Erdoberfläche, die sich dabei abkühlt. Sofern
Wolken den Nachthimmel bedecken, wird die infrarote Ausstrahlung
durch eine sog. atmosphärische Gegenstrahlung gedämpft. Insbesondere
in trockenen, klaren Nächten ohne nennenswerte atmosphärische
Gegenstrahlung ist die langwellige Strahlungsbilanz stark negativ und
es wird besonders kalt.

Ein weiterer Aspekt sind die thermischen Verhältnisse im Erdboden.
Böden mit guter Wärmeleitfähigkeit, können am Tage entsprechend viel
Wärme aufnehmen und ein Energiereservoir bilden, welches eine allzu
starke nächtliche Abkühlung kompensiert. Schlecht wärmeleitende Böden
weisen hohe Tag-Nacht-Schwankungen der Temperatur auf und sind zur
Wärmespeicherung ungeeignet. Prinzipiell leiten mineralische Böden
(z.B. Ton, Lehm) die Wärme besser als organische, stark humushaltige
Böden (Moor, Torf); feuchte Böden leiten besser als trockene;
außerdem sind feste, unverarbeitete Böden bessere Wärmeleiter als
bearbeitete, lockere Böden.

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Zusammengefasst bedeutet dies, dass sich die meteorologischen
"Kältelöcher" mit Spätfrösten auch noch im meteorologischen
Frühsommer, in klaren Nächten nach Polarlufteinbrüchen, stets auf
Böden mit schlechter Wärmeleitung ausprägen. In der Nacht zum
gestrigen Montag (15.06.2015) war Quickborn (nördlich von Hamburg)
der kälteste Ort Deutschlands. Knapp über dem torfhaltigen Erdboden
kühlte sich die Luft auf -1,6 °C ab. Eine Karte der nächtlichen
Temperaturminima (in ganzen °C) in Bodennähe vom heutigen 16.06.2015,
06:00 UTC, unterlegt mit einem Satellitenbild, finden Sie nebenstehend. In der vergangenen Nacht
war der Himmel über Norddeutschland bedeckt und die Temperaturminima
blieben durchweg positiv. Weiter südlich allerdings wurde es in einer
Zone mit geringer Bewölkung wieder empfindlich kalt. Spitzenreiter
war das niederländische Twente (nahe der deutschen Grenze) mit -4,1
°C, in dessen Nachbarschaft auch Moor- und Heidelandschaften sind.



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