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23. April 2015 | Dipl.-Met. Jens Hoffmann

Man sieht sich immer zweimal im Leben...

... heißt es gemeinhin auf Erden, doch auch in der uns umgebenden Atmosphäre scheint dieses Sprichwort im wahrsten Sinne des Wortes Anwendung zu finden.

Norderney am vorherigen Sonntagvormittag
Norderney am vorherigen Sonntagvormittag


Waren Sie am vergangenen Sonntag zufällig an der Nordsee und haben
sich gewundert, warum es am Vormittag trotz Hochdruckeinflusses so
lange grau in grau blieb, während im großen Rest des Landes die Sonne
bereits ab den Morgenstunden ordentlich "Gas" geben konnte. Nun, um
diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns in etwas höhere
Luftschichten begeben, sagen wir mal in etwa 5,5 km Höhe, was in der
Meteorologie als klassisches Niveau zur Erklärung physikalischer
Prozesse in der Atmosphäre gilt. Dort war es am Sonntagvormittag im
Nordseeumfeld nämlich nicht ganz so gut bestellt um den
Hochdruckeinfluss. Vielmehr konnte man auf den Wetterkarten ein
kleines, aber sehr gut ausgeprägtes Tief (ein sogenanntes Höhentief)
ausmachen, das von Norwegen kommend über die Nordsee in Richtung
England zog. Okay, so dachte man (wenn man denn von diesem Tief
überhaupt wusste), als am Nachmittag mehr und mehr die Sonne zum
Vorschein kam, "dat Ding" ist jetzt abgezogen und damit "gut ist" -
denkste Puppe!
Keine drei Tage später, nämlich am gestrigen Mittwoch, war es vor
allem am Vormittag in Teilen Norddeutschlands erneut stark bewölkt
und an der einen oder anderen Stelle regnete es sogar etwas - bei
einem auf Meeresniveau reduzierten Luftdruck von etwa 1025 hPa, was
gemeinhin als Hochdruck bezeichnet werden kann. Was war passiert?
Etwa wieder so ein Höhentief? - Richtig, Volltreffer! Aber nicht
irgendein Höhentief, sondern DAS Tief, das am Sonntag über die
Nordsee gezogen war.

Leisten wir uns einen kurzen Exkurs über die Genese und die
Lebensgeschichte dieses Höhentiefs, das von uns Meteorologen auch als
Kaltlufttropfen (KLT) bezeichnet wird. Dabei handelt es sich, wie
gesagt, um ein kleines abgeschlossenes Tief, das in der großräumigen
Strömungsverteilung wie ein kleiner Tropfen aussieht, der zudem mit
kalter Luft angefüllt ist. Wie tief dabei die Temperaturen in den
verschiedenen Höhenschichten sind, spielt absolut betrachtet keine so
große Rolle. Wichtig ist, dass sie im Tief, relativ zur Umgebung
betrachtet, niedriger sind. Wichtig für einen KLT ist auch die
Tatsache, dass er sich nicht im Bodendruckfeld abbildet. D.h., wenn
man sich eine klassische Wetterkarte mit Isobaren (Linien gleichen
Bodenluftdrucks) anschaut, findet man kein abgeschlossenes Bodentief.


Doch zurück zu unserem speziellen Exemplar. Als seine Geburtsstunde
kann etwa der vergangene frühe Freitagmorgen angesehen werden, als
man in den Höhenwetterkarten einige hundert Kilometer südwestlich von
Island eine kleine Anomalie (ein sogenannter Höhentrog) in der
südwestlichen Höhenströmung erkennen konnte. Kurze Zeit später - etwa
bei Island - löste sich diese Anomalie aus der eigentlichen Strömung
und zog im weiteren Verlauf als kleines "Ei" zunächst mal gen Osten,
bevor es über Norwegen erst nach Süden, später dann nach Westen
abbog. Es folgte eine Umrundung Großbritanniens mit erneutem Ziel
Norwegen, von wo aus der KLT via Dänemark schließlich Deutschland
erreichte. Eine Grafik mit der kompletten Zugbahn des KLT vom letzten
Freitag bis heute Donnerstag in 12-Stunden-Schritten findet man
nachfolgend. Übrigens, während des gesamten
Zeitraums lag über der Nordsee und dem südlichen Europäischen
Nordmeer ein Hochdruckgebiet (blaues "H" in der Grafik gibt den
mittleren Schwerpunkt des Hochs an). Es diente quasi als
Steuerungsmodul für den KLT, der das Hoch schließlich anderthalb mal
umrundete, was beachtlich und in der Meteorologie nicht alltäglich
ist.

Zum Vergrößern bitte klicken
Zum Vergrößern bitte klicken


Mit knapp einer Woche hat unser KLT - gemessen an anderen Vertretern
seiner Zunft - inzwischen auch schon ein stattliches Alter erreicht,
was ebenfalls nicht selbstverständlich ist. Die noch nicht
überbordend fortgeschrittene Jahreszeit (im Hochsommer wäre es
schwerer, so alt zu werden) sowie die vergleichsweise lange
Verweilzeit über den noch recht kalten Wasserflächen der Nordsee und
des Nordmeers waren seiner Zähigkeit sicherlich sehr zuträglich.
Wie auch immer, nachdem der KLT - nomen est omen - am Mittwoch
besonders in der Mitte für arg unterkühlte Verhältnisse (Thüringen,
Sachsen und Nordostbayern z.T. nur einstellige Tageshöchstwerte) mit
vielen Wolken und sogar etwas Regen gesorgt hat, beehrt er heute
Teile Bayerns mit einzelnen Schauern, vielleicht auch einem kurzen
Gewitter. Danach ist dann aber "Schluss mit lustig", wenn der KLT in
der Nacht zum Freitag unter ganz allmählicher Abschwächung via
Österreich gen Slowenien und dann weiter Richtung Balkan zieht, wo er
sich am Wochenende unter weiterem Verlust seiner Konturen
wahrscheinlich irgendwann auflöst - nach einer bemerkenswerten Vita.



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