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20. Januar 2015 | M.Sc.-Met. Andreas Würtz

Bestimmung der Schneefallgrenze

Gerade jetzt in den Wintermonaten taucht in den Wetterberichten immer wieder eine Angabe über die "Schneefallgrenze" auf. Dabei wird sich der ein oder andere interessierte Leser schon einmal gefragt haben: "Wie kann man die Schneefallgrenze berechnen? Wie kann ich diese für meinen Standort ermitteln?"

Im Alltagsgebrauch wird oftmals die Schneefallgrenze mit der
Nullgradgrenze gleichgesetzt. Diese Annahme ist jedoch nicht ganz
richtig, da es sich nicht um ein absolutes Niveau handelt, in dem der
Schnee augenblicklich in Regen übergeht.
In der Meteorologie wird mit der Schneefallgrenze eine oft mehrere
hundert Meter dicke Schmelzschicht, die räumlich unterhalb der
Nullgradgrenze anzufinden ist, bezeichnet. In dieser Schicht beginnen
die Schneekristalle unterschiedlich schnell zu schmelzen und es kommt
zur Bildung von Schneeregen oder Regen. Die Mächtigkeit dieser
Schmelzschicht hängt jedoch von der Feuchtigkeit der Luftschicht
unterhalb der Nullgradgrenze ab.

Zum Vergrößern bitte klicken
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Um die Schneefallgrenze, genauer gesagt die Schmelzschicht, in der
der Schnee vollends in die flüssige Phase übergeht, zu bestimmen,
muss zunächst die Nullgradgrenze berechnet werden. Hierzu eignet sich
die Betrachtung einer speziellen Höhenwetterkarte, die die
Temperaturverteilung in 850 hPa (Hektopascal) darstellt (eine
derartige Karte finden Sie nebenstehend.
Darin ist die Temperaturverteilung in einem Druckniveau von 850 hPa
dargestellt. Zu sehen sind Linien gleicher Temperatur, die als
Isothermen bezeichnet werden. Im mittel befindet sich dieses Niveau
auf einer durchschnittlichen Höhe von etwa 1460 m. In der Realität
variiert die Höhe der 850 hPa-Fläche in Hoch- und Tiefdruckgebieten
nach oben bzw. nach unten.
In der Beispielkarte sind die Isothermen als weiße Grenzlinien der
Farbflächen in einem Abstand von 2 Grad Kelvin zu sehen, wobei die
Zahlen die jeweilige Temperatur in "Grad Celcius" angeben. Die
einzelnen Höhen, in der sich das 850 hPa - Niveau befindet, werden
durch schwarze Linien gekennzeichnet. In der Meteorologie sind dies
Linien gleichen Geopotentials und werden als Isohypsen bezeichnet.
Die Höhe dieser Isohypsen wird in der Einheit [gpdam] (geopotentielle
Dekameter) angegeben, wobei dieser Wert mit zehn multipliziert
ungefähr die Höhe in "Meter" ergibt.

Mit Hilfe dieser Wetterkarte können wir nun zum einen die Temperatur
und zum anderen die Höhe, in der die Temperatur vorliegt, für eine
spezielle Region bestimmen. Um die Nullgradgrenze zu berechnen,
benötigen wir jedoch eine weitere Größe und zwar die
Temperaturabnahme mit der Höhe. Da diese einerseits in Abhängigkeit
von der Luftfeuchte stark variieren und ohne weitere Hilfsmittel
nicht genau festgelegt werden kann, nehmen wir bei Schneefall als
Näherung einen konstanten Wert von 0,65 Kelvin pro 100 Meter
(feuchtadiabatischer Temperaturgradient) an. Dieser Wert sollte bei
einer stabil geschichteten Atmosphäre ein gutes Ergebnis erzielen. Im
Falle einer Inversion, also einer Temperaturzunahme mit der Höhe,
führt diese Näherung zu einem unbrauchbaren Ergebnis.
Damit kennen wir jetzt alle Parameter zur Bestimmung der
Nullgradgrenze. Um nun die Vorgehensweise zu verdeutlichen, folgt nun
ein kleines aktuelles Rechenbeispiel für Berlin an Hand der
Beispielkarte oben:
Über Berlin befindet sich heute in direkter Nähe die -6 Grad
Isotherme (genauer Wert: -6,5 Grad) zwischen der Isohypse in 138 und
139 gpdam Höhe, sodass die 850 hPa-Fläche über Berlin genau in der
Mitte dieser zwei Isohypsen in einer Höhe von 138,5 gpdam liegt.
Multipliziert man diesen Wert mit zehn so erhält man eine Höhe von
1385 m.
Setzen wir uns nun bei diesem Ausgangsniveau von 1385 m Höhe und
einer Umgebungstemperatur von -6,5 Grad auf eine Schneeflocke und
"segeln" mit ihr in Richtung Erdboden, erwärmt sich die Umgebungsluft
um 0.65 Grad pro 100 Höhenmeter. Dies bedeutet also, dass nach etwa
einer Fallstrecke von 1000 m die Lufttemperatur bis auf 0 Grad
angestiegen ist. Somit liegt die Nullgradgrenze etwa bei 385 m (1385
m - 1000 m) über dem Meeresspiegel.

Jetzt stellt sich die Frage, wann die Schneeflocke auf ihrem Weg in
Richtung Erdboden komplett geschmolzen ist. Hierzu ist unter anderem
die Kenntnis über die Luftfeuchtigkeit in den Luftschichten unterhalb
der Nullgradgrenze von großer Bedeutung.
Bei einer nahezu gesättigten Luft, d. h. die relative
Luftfeuchtigkeit beträgt 100 %, beginnt der Schmelzprozess direkt mit
Erreichen der Nullgradgrenze.
Ist die relative Luftfeuchte kleiner als 100 %, wird der Schneeflocke
durch Sublimation (direkter Übergang von der festen Phase in die
Dampfphase) Wärmeenergie entzogen, was zu einer Verzögerung des
Schmelzprozesses führt. Fällt also der Schnee in eine relativ
trockene Luftschicht bei Temperaturen über null Grad, so kann es auch
mehrere hundert Meter unterhalb der Nullgradgrenze sowie bei
deutlichen Plusgraden von bis zu 7 Grad Celsius schneien.

Um nun eine exakte Vorhersage über die Dicke der Schmelzschicht
erstellen zu können, müsste zu jeder Zeit und für jeden Ort aktuelle
Messungen über die vertikale Temperatur- und Feuchteverteilung der
Atmosphäre vorliegen. Dies ist jedoch in keiner Weise realisierbar,
jedoch für einen kurzfristigen Zeitraum näherungsweise durch
Modellvorhersagen möglich. Hat man diese Modellberechnungen nicht zur
Hand, kann als Richtwert eine etwa 200 bis 300 m dicke Schmelzschicht
unterhalb der Nullgradgrenze angenommen werden.
In unserem Beispiel würde also oberhalb einer Höhe von ungefähr 85 m
über dem Meeresspiegel der Niederschlag in Form von Schnee fallen.
Somit würde nach unseren Berechnungen heute Mittag am Flughafen
Berlin-Tegel (35 m über dem Meeresspiegel) der Niederschlag lediglich
in Form von Regen fallen.
Berücksichtigen wir jedoch durch die gemachten Annahmen einen Fehler
von etwa +/-100 m, so ist es durchaus möglich, dass in Berlin auch
Schneeregen oder Schnee fallen kann. Aktuelle Beobachtungen
bestätigen dies.

Wollen Sie in Zukunft für Ihre Region eine eigene Prognose über die
Schneefallgrenze erstellen, können Sie auf der Internetseite
http://www1.wetter3.de/gfs025.html auf jegliche Wettermodellkarten
frei zugreifen. Im linken Reiter können Sie dann unter "Parameter"
auch die hier verwendete 850 hPa-Temperatur-Karte aufrufen.


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